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Aufstand der Fischer von St. Barbara

Aufstand der Fischer von St. Barbara

Titel: Aufstand der Fischer von St. Barbara
Autoren: Anna Seghers
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Fische genug gefangen hatten, um Brot bis zum nächsten Fang zu backen. Hull füllte das Glas und bot es seinem Gegenüber nach der Landessitte an. Der Schiffer Kedennek von der „Veronika" berührte den Rand mit seinen vor Stolz ganz dünn zusammengepreßten Lippen und stellte es wortlos ab.    Der Tisch, an dem sie tranken, stand gegen das Fenster der Schenke. Es war Nachmittag, Oktober. Dumpf und unbeweglich, bleigrau und regenschwer starrten Himmel und Erde gegeneinander, wie die Platten einer ungeheuren hydraulischen Presse. Es war kalt, keine scharfe, sondern eine langsam wirkende Kälte, die alle Dinge durchbeizte, den Schenktisch, die Flaschen auf den Wandbrettern, die eingefrorene Spieluhr. Nebeneinander an der Wand saßen die Schiffer, aufrecht, die Hände auf den Knien. Da sie nicht tranken, waren sie offenbar gekommen, um miteinander zu schweigen. Ihre unbewegten Gesichter hatten die Mienen von Menschen, die es zwecklos finden, Worte zu wechseln, da der Sturm doch jedes Wort übertönt.    Hull fiel es auf einmal schwer aufs Herz, daß er gekommen war. Es gab auf der Welt viele warme lustige Winkel, alle standen ihm offen, warum war er nicht abgefahren, warum saß er hier?    Hinter dem Fenster senkte sich der Himmel in schwerem Regen erdrückend auf das Meer. Der Abend brach an, unerwartet, unbeachtet, etwas grauer als der Tag. Wie der Zeigefinger einer ausgestreckten Hand, so fuhr das Leuchtfeuer der Margareteninsel um das Kreisrund an Erde und Himmel, das ihm gehörte, in einer kurzen Atempause zuerst, dann in zwei langen. Irgendwo, weit hinten, schluchzte ein Dampfer wie ein Kind, das seine Mutter im Dunkeln wiedererkennt.    Der Wirt kletterte auf den Schenktisch und zündete Licht an. Die Männer regten sich nicht. Das Licht der Lampe, das die Menschen weicher macht und ineinander schmilzt, ließ nicht einmal ihre Wimpern blinzeln.    Hull drehte den Kopf nach dem Fenster. Aber hinter dem Fenster gab es gar nichts. Es war jetzt vollkommen dunkel. Nur der Regen zog seine Streifen quer über das angelaufene Glas. Hull fiel plötzlich ein Schenkfenster ein an irgendeinem Hafen weit drunten. Das Glas war schmierig, hinter dem Glas lagen Melonen aufgeschüttet, eine war angeschnitten, der Saf war in Zuckerperlen erstarrt, auf der Scheibe tanzten die Mücken. Die Gasse war eng, die Häuser dicht, trotzdem war die helle Hitze so scharf, sie fraß einem die Schädeldecke vom Kopf, Hull sah immerfort auf die Melone. Die Scheibe war so frisch, so safig und triefend, daß er gierig auf sie wurde, trotz Schmiere und Mücken. – Manchmal war die Tür aufgegangen, dann hatte er ein paar dünne kleine Töne gehört, auf einem Instrument aus Holz, das war so eine verfluchte schwarze Melodie, die kein Weißer herauskriegte.    Schweigen. In beständigen Abständen zog das Leuchtfeuer seine Kreise, streife die dunkle Wand, die Gesichter im Schatten. In seinem Arm träumte die Kneipe zu schwimmen, mit allem, was darin war, weit draußen in der Dunkelheit wie andre Schiffe in Seenot. Die Schiffer starrten vor sich hin. Vielleicht dachten sie an gar nichts, vielleicht an etwas Besonderes.    Wenn sie mich finden und fangen, dachte Hull, werde ich nie mehr andre Kameraden als die da haben, ich werde nie mehr in einer andren Schenke sitzen, nie mehr so dünne kleine Töne hören, nie mehr solche Melonen bekommen.    Er hatte aufs Geratewohl bestellt. Jetzt wurde er wild, trank drei, vier nacheinander. Die Fischer betrachteten ihn unverhohlen und gleichmütig. Mochten sie ihn betrachten. Sein zugeschnürter Hals lockerte sich, langsam kam das Warme in seine Lippen, seine Kehle, sein Herz witterte schon was, gleich mußte es darin sein, seine Brust war schon warm, jetzt war es dicht daran, er sprang auf.    Wie einfach war alles. Er konnte auch jetzt noch weggehen. Niemand hatte ihn erkannt. Kein Mensch wußte noch, daß er Hull aus Sebastian war. Wenn sie es nachher erfuhren, dachten sie vielleicht, das sei eine Schande. Vielleicht war es auch wirklich eine Schande. Aber der Dampfer, der ihn hergebracht hatte, brachte ihn am Morgen wieder zurück. Von der Margareteninsel aus gingen jeden Tag ein Dutzend Dampfer nach allen möglichen Häfen. Gewiß war es eine Schande. Aber drüben würde die Sonne die Schande zusammenschmelzen. Wie einfach war alles! Er sprang auf, warf ein Geldstück hin, rannte hinaus, schlug die Tür zu. Er rannte die Höhe hinunter über den Landungssteg, verkroch
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