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Aufstand der Fischer von St. Barbara

Aufstand der Fischer von St. Barbara

Titel: Aufstand der Fischer von St. Barbara
Autoren: Anna Seghers
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das beste, du fährst zurück. Mir ist's nicht drum, ob du noch bleibst oder nicht, aber geh jetzt weg, hier ist jetzt alles im Fluß, geh weg, setz dich nicht fest, eben sind sie nicht scharf auf dich, du kommst glatt rüber, in einem Monat ist alles anders. Setz dich nicht fest," – Hull fragte: „Wann fährt er?" – „Morgens um sechs!" – „So."
       Hull stand auf. Er trat ans Fenster, spreizte die Arme, setzte sich wieder. Das war ein Einfall von diesem Wirt, das war etwas Neues, was er sich ausgedacht hatte, niemand hielt ihn zurück, er konnte gehen. Er stand nochmal auf, ging nochmal ans Fenster, jetzt war es nicht mehr umsonst da draußen weit und rund, der Wind zerriß nicht umsonst die Sonne in kleine Fetzen und blies sie über das Meer. Das konnte er alles haben, das wurde ihm alles angeboten, das gehörte ihm. Er sagte: „Vielleicht geh ich mal."    Er stieß auf Marie, die räkelte sich über dem Tisch. Wie er vorbeikam, streckte sie ihre Arme lang aus, legte den Kopf darauf, blinzelte. Hull fiel es ein, so hatte sie auf dem Geländer gehangen, aber er hatte doch ihre Brust nicht gekriegt, das war zwar kein großes Versäumnis, überhaupt hatte sich damals sein Herz ganz umsonst zusammengezogen, Hull war beinah enttäuscht.    Auch jetzt lag Mariens Brust im Kleid, er faßte danach, aber Marie sprang plötzlich auf und schüttelte sich. Das war so leicht, so eine über den Tisch zu ziehen, oder rund herum, und hatte er mal die Hand im Kleid, dann machte so eine von selbst auf. Er wollte auch nach ihr langen, sie legte sich schon nach vorn, aber es ging nicht. Er sagte bloß: „Auf morgen!" Marie sagte: „Morgen geht's nicht, da kommen die Leute vom Dampfer. Da ist Betrieb hier." Marie kniff die Augen zusammen, sie wurde noch schmäler und spitzer, noch dünner und bittrer. Jetzt dachte er wieder, er möchte sie haben, er mußte auch alles, bevor er nur wegging, verschlucken, die getünchte Wand mit Placken von abgefallenem Mörtel, das Fenster, darin etwas Dünen – vom Meer sah man hier nichts –, vom Winterregen zerwühlt. Heute war es ihm nicht wie am Sonntag zumute, er war wieder müde. Das kannte er schon, manchmal wurde alles, Menschen und Dinge, zu Vögeln, die nahmen einen im Fluge mit, manchmal zu Bleiklumpen, zogen einen herunter. Wenn er sich nochmal ausgeruht hatte, dann konnte er alles, auch Marie packen, nur heute nicht mehr. Marie sagte: „Die haben erzählt, daß du gehst." Hull sagt: „Da wird nichts draus."    Am nächsten Morgen sagte Kedenneks Frau: „Andreas, gib acht auf die Buben, die hol ich nachher. Ich muß mal runter." – Andreas holte sein Zeug herbei, um ein paar Haken zu drehen und setzte sich hinter den Tisch. Manchmal sah er durchs Fenster. Das Fenster ging auf den schmalen Weg zwischen den Hütten. Auf dem Weg waren die Spuren von vielen Schritten. In der Nacht hatte es gefroren, und die Fußtapfen waren erstarrt, in den Ritzen saß Reif. Gegenüber war noch ein Stück von Nehrs Mauer, alles aus grauen Steinbrocken. Über dem rechten Pfosten, den man noch sah, waren zwei solcher Steinbrocken so zusammengefügt, daß es ein Kreuz gab. Auch in den Ritzen des Kreuzes saß der Reif. Andreas sah nochmal heraus, dann sahen auch die Kinder, die mit kleinen Eisenteilchen spielten, heraus und sahen genau dasselbe. Das Zimmer war voll Rauch und alle hatten rote Augen.    Nach einer Weile ging Andreas mal vor die Tür, die Kälte war schon feuchter geworden, der Reif auf dem Wege verschwunden. Andreas hatte Lust mit jemand zu sprechen. Aber oben krümmte sich der Weg um die Höhe, und unten um Nehrs Mauer, das Stückchen war leer, nur der eingefangene Wind surrte. Andreas seufzte, er wollte schon wieder zurück, die Kinder schrien drinnen, da kamen von oben Schritte. Er wartete noch, das war Hull. Hull streife Andreas, ohne auf ihn zu achten. Andreas schloß hinter sich die Tür und sah Hull enttäuscht nach. Es kam ihm sonderbar und unverständlich vor, daß Hull ihn noch nicht angesprochen hatte. Gerade ihn nicht, Andreas, der ihn vom ersten Augenblick an erwartet hatte. In den letzten Tagen war erzählt worden, daß Hull zurückfuhr. Andreas war zuerst erschrocken, dann hatte er nicht mehr daran geglaubt.    Hull war schon um Nehrs Mauer herum, da war wieder ein Stück Weg, genau so grau, wieder solche Steinbrocken und dazwischen niedrige Fetzen vom Himmel, dann kam wieder eine Biegung, Hull bekam Lust, irgend jemand anzusprechen, vor ihm war
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