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Aufstand der Fischer von St. Barbara

Aufstand der Fischer von St. Barbara

Titel: Aufstand der Fischer von St. Barbara
Autoren: Anna Seghers
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niemand, er drehte sich um. Er sagte: „Wie kommt man am schnellsten die Küste entlang?" – Andreas kam näher heran. „Gibt es eine Fähre über die Bucht?" – „Nein, jetzt nicht mehr, man muß rund herum gehen." – Hull sah Andreas fester an, wieder fiel es ihm ein, daß er ihn schon öfers gesehen hatte, ganz am Anfang auch, später in der Schenke, und bei der Versammlung. Hull wünschte sich, der Junge möchte den Weg mit ihm runter gehen, ihm ein bißchen zuhören. Er sagte: „Wer seid Ihr denn?" – Andreas erwiderte: „Andreas Bruyn, ich gehöre zu Kedenneks." Sie betrachteten einander, Andreas fügte hinzu: „Wenn Ihr bis Elnor wollt, braucht Ihr nicht den Strand entlangzugehen, es gibt einen Weg durch die Dünen, der ist besser bei Regen. Wenn Ihr wollt, geh ich mit." – „Ja, das is gut, könnt Ihr abkommen?" Andreas sagte: „Ja, ich kann abkommen."    Sie gingen weiter. Andreas dachte an die Buben. Er hatte die Tür zugemacht – die Buben warteten eine Weile, riefen ihn, sahen ihm nach, er war weg, sie heulten, rannten hinunter, Kedenneks Frau kam zurück, das Zimmer war leer. Andreas tat etwas weh. Er hatte Heimweh. Das hatte er noch nie gehabt – nicht nach seinen toten Eltern, es war kein großer Unterschied zwischen ihnen und Kedenneks, nicht nach der Kammer mit ihrem Elterngeruch, die jetzige roch genau so. Nun dachte er – drei Minuten waren vielleicht vergangen –, es sei gut, umzukehren, die Buben waren schon enttäuscht, dann kam er doch noch, sie hüpfen, rissen die Augen auf.    Er kehrte aber nicht um. Sie waren jetzt bei der letzten Biegung, unterhalb der Höhe. Vor ihnen lag die Bucht, zur Seite das Meer. Seit einigen Tagen und Nächten war das Rauschen so gleichmäßig und einförmig, daß es war, als ob die Stille selber rauschte. In der Regenluf war alles deutlich, der Leuchtturm auf dem Rohak, weit hinten die Insel, sogar die Dampferfurche. Hull fuhr zusammen, er war also nicht dort draußen, er war auf irgendeinem grauen, eingefrorenen Weg, der unter seinen Schuhen aufweichte. Hull fürchtete sich beinah davor, Andreas könnte andren Sinnes werden und umkehren, oder einen Bekannten treffen. Aber Andreas kehrte nicht um. Sie trafen auch zufällig keinen Bekannten, auch nicht auf dem Marktplatz. Obwohl sie sich nicht durch Gerede die Zeit verkürzten, hatten sie die Bucht ziemlich schnell hinter sich. Dann bogen sie auf den Landweg hinter die Dünen. Es waren keine richtigen Dünen, die Küste war gegen die See in Klippen zerfressen, landeinwärts mit einer Sandschicht bedeckt, auf der in einzelnen Flecken eine Art scharfes, immergrünes Stachelkraut wuchs. Zu beiden Seiten zog sich das Land in flachen Wellen. Manchmal sah man ein Stück Meer. Das Rauschen war auch hier, es war noch ein andrer näherer Ton dabei: der Wind, der über das Kraut strich wie über ein Reibeisen. Längs der Bucht war ihnen der Wind schief in die Gesichter gefahren, jetzt hatten sie ihn im Rücken und bekamen Lust zu sprechen!    Andreas sagte: „Das ist doch mal was andres, das möchte ich auch mal, so fahren, daß man wirklich wohin kommt und was sieht, nicht bloß wie wir, immer Wasser und Wasser und Wasser." – Hull sagte: „Du wirst auch noch raus kommen, vielleicht schon im Sommer." – „Jetzt möcht ich gar nicht heraus." – „Hast wohl eine Liebste hier?" – „Ach ja, aber nichts Besondres. Ich will aber jetzt erstmal abwarten, wie das hier weitergeht." – Hull sagte: „Wenn das hier aus ist, dann muß ich sehn, wie ich mich rausschlage und irgendwo unterkomme. Da kommst du mit, ja?" Andreas sagte: „Ja." – Hull fing an zu erzählen von draußen, Häfen, Straßen und Weibern. Andreas hörte erstaunt mit zu. Er sagte: „Das ist mal was andres als hier, ach Gott." Er hatte plötzlich so einen scharfen Kummer, wie neulich, als ihn Kedennek aus dem Zimmer wegschickte. Er hätte Kedennek einen Tritt mit seinen Schuhen versetzen mögen, den Dünen einen Tritt und dem Meere, weil sie den Weg versperrten. Er dachte auch jetzt, das wird schon alles kommen, vielleicht schon dieses Jahr. Aber er wollte es gleich haben, nicht drauf warten. – Dann fing Hull von der „Alessia" an. Darauf erzählte Andreas, was ihm geschehen war mit dem Aufseher, und dem Kapitän, es war nichts Besondres, aber doch ein wenig zu prahlen. Auf einmal hörte er auf und sagte: „Da liegt Elnor."    Damals, nach der Versammlung in St. Barbara, waren die Leute auf dem Marktplatz
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