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Aufstand der Fischer von St. Barbara

Aufstand der Fischer von St. Barbara

Titel: Aufstand der Fischer von St. Barbara
Autoren: Anna Seghers
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dem Tisch liegen lassen, das hatten sie jetzt verschleppt und vertan, es gehörte nicht einmal ihm, sondern Kedennek. Er sah Hull von der Seite an, der war nicht so verschieden von den Einheimischen, wie er gedacht hatte, er wäre besser nicht mitgegangen. Hull dachte, das ist ein einfältiger Junge, warum habe ich mich an ihn gehangen, allein wäre besser. Blé lag hinter einer Düne, in einer kleinen Grube, als ob das Land knapp wäre, so eng beisammen. Hier gab es einen Laden, und darin einen Schenktisch. Hull hatte es eilig zu trinken, er schüttete auch den Jungen voll. Die Leute kamen von selbst herein, hier ging es schneller als in Elnor. Jetzt war schon Nachmittag, der rechte Küstenwinter, die Gruben füllten sich mit Regen, daß die Hütten bald ertranken. Sie nahmen den Heimweg mit einem Bogen über Land, um durch Wyk zu kommen. Zuerst waren sie inwendig noch warm vom Trinken und Reden, dann kühlte es ab, der Regen weichte sie ein. Schließlich mußten sie sich mal in einer Mulde unterstellen, um auszuschnaufen. Es war die gleiche Mulde, in der sich damals die Leute auf dem Weg nach St. Barbara untergestellt hatten. Sie waren bis in die Knochen durchnäßt. Das war ein Regen, der den Körper durchweichte, wie Lappen, daß keine Steife mehr drin blieb, kein Halt und keine Starrheit. Es rauschte über der Mulde, ohne sich viel zu heben oder zu senken. Den Zornigsten hätte das Rauschen beschwichtigt, den Wildesten müde gemacht. Andreas berührte Hull mit der Schulter. Andreas war stehend eingeschlafen. Er glitt leicht auf Hulls Seite. Hull legte den Arm um ihn und schlief gleichfalls ein. Als sie aufwachten, war Nacht. Sie kamen gegen Morgen nach Barbara, todmüde und steif vor Nässe.
    Am Abend vor Weihnachten hatte Kedenneks Frau auf einmal Lust nach der Kapelle. Zur Kapelle – halbwegs nach Wyk – war es weit, niemand hatte große Lust danach, sie machten sich fertig. Auf einmal legte die Frau ihr Tuch nochmal weg, nahm einen Topf vom Brett und rieb ihn ab. Kedennek sagte: „Putz, wenn du heimkommst, mach zu." Dann ging er mit den Kindern voraus. Kedenneks Frau seufzte und fuhr fort, an ihrem Geschirr zu reiben. Andreas hatte schon die Türklinke in der Hand, er sah mit zu, das kam ihm sonderbar vor. Schließlich sagte die Frau: „Hol mal die Katarina Nehr." – Andreas ging weg, die Nehr war nicht mehr daheim, er holte sie aber ein. Die Kedennek legte sich in den Alkoven. Die Nehr setzte sich davor. Andreas hätte gern alles mitzugesehen, aber die Frau hatte sich tief drin verkrochen. Andreas wußte nicht recht, ob er bleiben oder gehen sollte, so stand er wieder an der Tür, die Hand auf der Klinke. Die Läden klapperten, Andreas dachte an Katarina Nehrs Schwiegermutter. Auf dem Tisch, genau unter der Lampe, stand der Topf, den Marie Kedennek blank gerieben hatte. Niemand fragte nach ihm, aber er blinkte.
    Marie Kedennek seufzte und schrie auch manchmal in ihrem Loch. Andreas wünschte sich, sie möchte noch viel lauter schreien, aber sie hatte ihre ärgsten Schreie schon ausgestoßen und seufzte wieder. Katarina Nehr rief Andreas heran und gab ihm das Kind in die Hände. Nun dachte Andreas, daß es doch gut sei, daß er geblieben war. Er sah auf das Kind, es sah genau so aus, wie das letzte von seiner Mutter, genau so rot und roh. Andreas dachte, daß es wohl genau so kurz leben würde, aber dieser Gedanke bedrückte ihn gar nicht. Inzwischen war mit Katarina Nehrs Besuch, mit Marie Kedenneks Schreien und mit der Geburt des Kindes doch mehr Zeit vergangen, als Andreas gedacht hatte. Kedennek kam schon wieder mit den Kindern zurück. Kedennek nahm Andreas das Kind aus den Händen. Andreas merkte ihm am Gesicht an, daß er genau dasselbe über das Kind dachte wie er.
    Zu Neujahr langten die Frauen nochmal tief in die Töpfe, die Männer tranken sich nochmal voll, dann merkten sie, sie mußten gehörig zusammenhalten bis zum Frühjahr. Zweimal in der Woche brachten die Leute das Kleinzeug, das sie fingen, auf den Markt nach der Insel, dort gab es dienstags und freitags ganze silberne, glitschige Fischberge. Es lohnte sich gar nicht, aber man mußte doch etwas mit seinem Boot unternehmen. Es regnete fortwährend, die Nässe drang einem in die Haut und in die Betten, die Luf schmeckte draußen nach Regen und drinnen nach Rauch. Bei Bruyk, neben Kedennek, geschah etwas Merkwürdiges. Bruyk trank eines Abends einen Kübel Wasser vor Durst, in der Nacht wälzte er sich hin und her, am Morgen hatte er
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