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Auf der Suche nach Amerika - Begegnungen mit einem fremden Land

Titel: Auf der Suche nach Amerika - Begegnungen mit einem fremden Land
Autoren: Bettina Gaus
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Eine perfekt eingerichtete Einbauküche. Im Wohnzimmer schwere Polstermöbel, dicke Teppiche, ein furnierter Eichenschreibtisch. Darüber hängt ein Hochzeitsbild der Tochter. Nancy Pfeifer kramt ein Foto von sich selbst als jungem Mädchen hervor. Schön war sie. Das hört sie gern, auch heute noch. Sie zeigt ein anderes Foto, auf dem ihr Cousin als lachender junger Mann zu sehen ist. Lebt er noch? Das weiß sie nicht. Sie hat keinen Kontakt mehr zur Familie in Russland, seit ihr Vater dort nach dem Krieg verhungert ist.
    Sechs Wellensittiche wohnen auch im Trailer. Und der Hund Benny. »Ein Yorkshireterrier«, sagt Nancy fest. Sekundenbruchteile nachdem ihr Freund erklärt hat: »Ein Mischling.« Draußen auf der hölzernen Terrasse stehen Blumenkästen. Zwischen die Pflanzen sind bunt angemalte Keramik-Enten gesetzt worden.
    Es ist eine gemütliche, kleinbürgerlich anmutende Idylle, die Nancy Pfeifer sich geschaffen hat. Harry Bruner ist bei ihr eingezogen, weil beide sich nach dem Tod ihrer Ehepartner einsam fühlten – aber sie schlafen, wie sie ausdrücklich und mehrfach betonen, in getrennten Zimmern. Kennengelernt hat sich das Paar in der Kirchengemeinde, wo er als Organist tätig ist. Wozu sonntägliche Spaghetti-Dinner mit dem Pfarrer doch gut sein können.
    »Wir haben hier den besten Platz bekommen«, meint Harry Bruner. »Die anderen sind viel schlechter.« Ein Eckgrundstück, die größte Parzelle in diesem Wohnpark, auf dem insgesamt etwa 15 Häuser stehen. 365 Dollar Miete zahlt das Paar monatlich an den Grundeigentümer, 20 davon für den Hund. So viel, wie man in einem billigen Motel pro Nacht für ein Schoßtier entrichten muss.
    Ganz glücklich ist Bruner trotzdem nicht, ungeachtet des schönen Grundstücks. So ein Trailer sei »nicht recht solide«, nicht wie ein »richtiges Haus«. Das sieht seine Gefährtin anders. Die Nachbarn hier oben seien doch sehr nette Leute. »Da drüben zum Beispiel ein pensionierter Polizist.« Nur unten wolle sie nicht leben. Als sie noch besser habe laufen können, sei sie immer unten vorbeigegangen und habe gedacht: »Oh Gott, hoffentlich muss ich nie so wohnen.«
    Oben und unten: Nur selten stimmt eine konkrete geografische Lage so präzise mit der Symbolik überein, die mit diesen Begriffen verbunden ist. Am oberen Ende der Straße der ordentliche, bürgerliche Trailer-Park. Das Glück im Winkel. Zweihundert Meter weiter, am Ende eines steil abfallenden Hügels: Eine schmuddelige, verwahrloste Siedlung, die aussieht, als sei sie die letzte Station vor der Obdachlosigkeit.
    Auf dem Schotterweg, der durch die Anlage führt, spreche ich drei junge Leute an. Nicht der Stolz von Nancy Pfeifer, sondern Misstrauen und spontane Abwehr sind die Reaktion, als ich erkläre, dass ich mit ihnen über das Leben im Trailer-Park reden möchte. Nur sehr zögernd willigen sie ein. Wir laufen vorbei an winzigen Parzellen, an Autowracks, an roh zusammengehauenen hölzernen Anbauten. An jedem Haus hängt eine Satellitenschüssel. Die meisten sind verrostet. Schließlich werde ich zu einer Sitzecke mit weißen Plastikstühlen, einem Tisch und einem überquellenden Aschenbecher auf den kleinen Vorplatz des Trailers gebeten, in dem die Tante des 20-jährigen Anthony wohnt. Sie solle sich nicht aufregen, erklärt der Neffe, und Fremde regten sie auf. Deshalb dürfe ich nicht ins Haus. Immer wieder bewegt sich während des Gesprächs der Vorhang hinter dem Fenster und wird kurz ein wenig zur Seite geschoben.
    Die Tante sitzt im Rollstuhl und ist insgesamt bei schlechter Gesundheit. Anthony, ein auf verwegene Weise gut aussehender Junge mit Piratenkopftuch und kleinem silbernen Ohrring, lebt seit vier Jahren bei ihr. Im Alter von 14 wurde er von seiner Mutter zu Hause rausgeworfen, weil er deren Freund zusammengeschlagen hatte. Vorher sei er von diesem mehrfach verprügelt worden, sagt Anthony. Zunächst hatte er danach Unterschlupf bei seinen Großeltern in einem anderen Teil von Branford gefunden, aber da gefiel es ihm nicht. »Ich habe sowieso immer mit den Leuten hier abgehangen, da dachte ich, dass ich auch gleich hierherziehen kann.« Seine Mutter sieht das anders. »Sie sagt, sie wäre lieber obdachlos, als in einem Trailer-Park zu leben.« Offenbar eine ganz reizende Frau. Aber natürlich kennt man nur die eine Seite der Geschichte.
    Anthony dominiert das Gespräch. Der 19-jährige Jeremy, der im Alter von sechs Monaten zu seinen Großeltern hierher in den Trailer-Park gekommen
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