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Auf der Suche nach Amerika - Begegnungen mit einem fremden Land

Titel: Auf der Suche nach Amerika - Begegnungen mit einem fremden Land
Autoren: Bettina Gaus
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29 Prozent der Frauen in den Vereinigten Staaten haben 2006 ein Kasino besucht.
    Man kann diese Angaben mit guten Gründen anzweifeln. Natürlich erinnern Statistiken aus einer solchen Quelle an den alten, bösen Spott, Rauchen sei unschädlich, wie Dr. Marlboro kürzlich bewiesen habe. Aber der Augenschein stützt die Zahlen. In den glitzernden, flirrenden, fensterlosen Hallen von Foxwoods wird das Bild nicht von Spieljunkies mit rot geränderten Augen bestimmt, deren zitternde Hände es mit letzter Kraft gerade noch schaffen, den Hebel des einarmigen Banditen herunterzudrücken. Hier, wo Teppiche jeden Ton verschlucken außer dem elektronisch erzeugten Klappern von Münzen bei größeren Gewinnen – Verluste werden von den Automaten meist lautlos einkassiert –, hier, wo es keine Uhren gibt und keine Zeit zu geben scheint: hier sitzt die amerikanische Mittelklasse. Mehrheitlich weiß, jedoch auch asiatischen und afrikanischen Ursprungs. An diesem Werktag in Foxwoods ein wenig älter als der Landesdurchschnitt. Ordentlich, aber leger und nicht etwa festlich gekleidet. Nichts erinnert an Glanz und Elend von Dostojewskis Baden-Baden.
    Die Kasinos in den USA stehen für die Demokratisierung des Rechts, jenen Kapitalisten das eigene Geld in den Rachen zu werfen, die nicht einmal so tun, als ob es ihnen um etwas anderes ginge als um eben dieses Geld. Kapitalisten: Damit sind nicht nur die indianischen Betreiber gemeint. Joint Ventures ermöglichen es auch anderen, sich ein Stück vom Kuchen abzuschneiden. Kasinos stehen außerdem für das demokratische Recht, zumindest den Versuch zu unternehmen, den Kapitalisten das eingesetzte Geld wieder abzujagen. Manchmal funktioniert das sogar.
    »Ich habe vorhin da drüben den Jackpot geknackt«, wispert die Dame, die neben mir am Automaten sitzt. »Fünftausend Dollar!« Sie sieht nicht so aus, als werde eine solche Summe ihr Leben entscheidend verändern. Weder als Gewinn noch als Verlust. Aber das ändert nichts daran, dass heute ihr Tag ist. Sie kann ihr Glück einfach nicht für sich behalten, was sie allerdings nicht davon abhält, auch weiterhin konzentriert auf die Maschine vor sich zu schauen. Ich freue mich mit ihr. Ehrlich. Aber, um offen zu sein: Die Dame nervt. Ich habe gerade andere Sorgen.
    Bleiben oder wechseln? Das Gerät, an dem ich Automatenpoker spiele, hat schon lange keinen nennenswerten Gewinn mehr ausgespuckt. Heißt das, ich muss nur noch ein ganz klein wenig länger ausharren, um endlich zu siegen? Oder sollte ich erkennen, dass ich den falschen Platz gewählt habe, meine Verluste abschreiben und nochmals von vorne beginnen? Ganz wie im realen Leben, wenn man einen Fehler begangen hat? Keine Ahnung. Aber gewinnen will ich. Betreten habe ich das Kasino, um mit Leuten zu reden. Dann habe ich erkannt, dass es dafür kaum einen schlechteren Ort gibt. Wenn sich irgendjemand gewiss nicht unterhalten will, dann ein Mann oder eine Frau, der oder die vor einem Spielautomaten sitzt. Den Blick starr auf den kleinen Bildschirm gerichtet, ganz allein mit sich und der Maschine. Nach einiger Zeit des ziellosen und ergebnislosen Wanderns bin ich keine Reporterin mehr. Sondern Teil der hier versammelten Gemeinschaft. Geld will ich herausholen. Geld, Geld. Und sonst gar nichts.
    Insgesamt betrachtet habe ich Glück. Als ich zurückkehre zu meinem Auto, habe ich 16 Dollar am Automaten-Poker gewonnen. Keine bedeutende Summe. Aber ein großer Sieg. Mir gehen Nancy Pfeifer und Anthony nicht aus dem Kopf. Wären sie verführbar von den Verheißungen eines Kasinos? Spielen sie gelegentlich? Was täten sie mit einem Gewinn? Nancy, so denke ich, würde wenig an ihrer Lebensführung ändern. Ein beruhigender Gedanke. Anthony würde vermutlich auch wenig an seiner Lebensführung ändern, von einigen dramatischen Gesten einmal abgesehen. Ein trauriger Gedanke. Ich werde niemals erfahren, ob ich richtig liege mit meinen Vermutungen. Am nächsten Tag fahre ich weiter nach Massachusetts.
    Von einem reichen Land in ein anderes reiches Land. Massachusetts ist noch ein bisschen dichter besiedelt als Connecticut, und die Leute hier verdienen fast ebenso gut. Insgesamt ist in den Neuengland-Staaten die Arbeitslosigkeit niedriger und die Einkommen sind höher als im nationalen Durchschnitt. In weiten Teilen von Neuengland wird von der Oberschicht ein Akzent gesprochen, der im Rest der USA als elitär verstanden wird – und die Elite hat gegen diese Interpretation nichts einzuwenden. Es
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