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Auf der Suche nach Amerika - Begegnungen mit einem fremden Land

Titel: Auf der Suche nach Amerika - Begegnungen mit einem fremden Land
Autoren: Bettina Gaus
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Texas, dann hinein in die Südstaaten. Und zurück nach New York.
    Im Herbst letzten Jahres machte ich mich auf, seinen Spuren zu folgen. Eine Graswurzelreise. Jamestown, den Ort der ersten dauerhaften englischen Siedlung in Nordamerika, erreichte ich fast am Ende meiner Entdeckungsfahrt. Auf direktem Weg liegt diese Keimzelle der Vereinigten Staaten etwa 600 Kilometer von meinem Ausgangspunkt New York entfernt. Ich habe knapp 24000 Kilometer zurückgelegt, um sie zu erreichen – auch deshalb, weil ich oft kreuz und quer, vorwärts- und wieder zurückgefahren und dabei gelegentlich weit von Steinbecks Route abgewichen bin. Eine Karte, auf der die wichtigsten Stationen eingezeichnet sind, erweckt zwangsläufig den Eindruck von Zielstrebigkeit und Geradlinigkeit. Dieser Eindruck täuscht.
    Gerne würde ich behaupten, selbst die Idee zu dieser Reise gehabt zu haben. Aber das wäre falsch. Die Filmautorin Petra Haffter, der Fernsehproduzent Rainer Baumert und der Kameramann Michael Lösche haben über Jahre hinweg von diesem Unternehmen geträumt und diesen Traum jetzt mit einem mehrteiligen Dokumentarfilm verwirklicht. Die ersten Tage sind wir gemeinsam gereist. Aber bald stellte sich heraus, dass die Arbeitsrhythmen eines Kamerateams und einer schreibenden Autorin denn doch allzu unterschiedlich sind. Deshalb haben wir uns getrennt und ich fuhr alleine weiter.
    Dabei folgte ich dann strengen Regeln. »Alles in der Welt muss eine Form haben, sonst lehnt der menschliche Geist es ab«, schrieb Steinbeck. Meine Form: Ich habe niemals Gebrauch gemacht von meinem Presseausweis. Ich habe keine Gespräche geführt, die vorab mit der Hilfe von Freunden oder Verwandten vereinbart worden waren. Großstädte habe ich – fast – ausnahmslos umfahren und mich auf die Provinz beschränkt. Nur der Zufall hat mich gelenkt und ich nahm dankbar an, was dieser Zufall mir bot. Anders ausgedrückt: Ich habe versucht, so zu reisen, wie alle anderen Leute auch reisen oder zumindest reisen könnten. Ohne die Privilegien, die mein Beruf der Journalistin üblicherweise gewährt.
    Es war eine überwältigende Erfahrung. Auch. Aber vor allem war es eine Erfahrung, die ich beruhigend finde: Alles, was aus der Entfernung mächtig, eben gar überwältigend zu sein scheint, wird mit jedem Schritt kleiner, den man sich darauf zubewegt. Jeder Gigant erweist sich als Scheinriese, betrachtet man ihn aus der Nähe. Was für Menschen, Länder und Kulturen gilt, gilt ebenso für Ideen. Und für Pläne.
    Das hat sein Gutes. Ergriffenheit als Dauerzustand hält niemand aus, und Erkenntnisse lassen sich nur in minimalen Dosen verarbeiten. Die Fähigkeit, jede noch so gewaltige Aufgabe auf Normalmaß zurechtzustutzen, ermöglicht es überhaupt erst, sie in Angriff zu nehmen. Bevor ich aufbrach, habe ich viel über die Position der USA in der heutigen Welt nachgedacht. Als ich unterwegs war, gewannen Fragen wie die nach dem Wetterbericht für den folgenden Tag demgegenüber ständig an Bedeutung. Das verband mich mit der lokalen Bevölkerung. Gut so. Das war wenigstens ein Anknüpfungspunkt.
    Bildet Reisen? Ja. Ein bisschen. Ich hatte die denkbar günstigsten Bedingungen für meine Unternehmung: Viel Zeit – was über drei Monate hinausgeht, ist keine Reise mehr, sondern ein vorübergehender Auslandsaufenthalt –, genügend Geld, um mir nicht aus finanziellen Gründen irgendwelche Beschränkungen auferlegen zu müssen, und gute Kenntnisse der Sprache meines Gastlandes. Bessere Voraussetzungen gibt es nicht. Habe ich nun also ein klares Bild, ein sicheres Urteil gewinnen können? Nein. Aber immerhin einen Zipfel der Wirklichkeit bekam ich zu fassen auf meiner Fahrt, und nun glaube ich wenigstens zu wissen, was ich alles noch immer nicht verstehe. Und warum. Das ist ein Anfang.

Erstes Kapitel Hoffnung auf ein neues Leben und die Sehnsucht nach der guten alten Zeit
    Amerika ist sehr groß. Das gilt sogar für jenen gewaltigen Staat, der sich gerne »Amerika« nennt, obwohl er doch nur der kleinere Teil des Kontinents ist: die USA. John Steinbeck schaute kurz nach seiner Abreise aus New York auf einem Rastplatz in Connecticut in sein Kartenbuch: »Und auf einmal wurden die Vereinigten Staaten riesig über alle Maßen, sodass es unmöglich schien, sie zu durchqueren. Wie zum Teufel hatte ich mich auf ein so undurchführbares Unternehmen einlassen können?«
    Inzwischen weiß ich, was er meinte. Connecticut ist allerdings noch nicht die Gegend, in der mich
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