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Auf der Suche nach Amerika - Begegnungen mit einem fremden Land

Titel: Auf der Suche nach Amerika - Begegnungen mit einem fremden Land
Autoren: Bettina Gaus
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mich dabei ertappen, genau das zu tun, was mir an vielen meiner Landsleute, die längere Zeit in den USA verbracht haben, stets fürchterlich auf die Nerven gegangen ist: Ich werde jedem Urteil über die Weltmacht spontan widersprechen und erklären, es sei doch alles ganz anders, als wir vermuteten.
    Das ist ja auch wahr. Es ist alles ganz anders. Andererseits aber auch wieder nicht. Wie ist es denn nun? Je länger ich unterwegs war, desto größer wurden die Fragezeichen. Aber einiges habe ich denn doch verlässlich erfahren: Dass sich nämlich die Bevölkerung der kleinen Städte und Dörfer in den Vereinigten Staaten ganz und gar nicht als Teil einer Weltmacht fühlt, sondern dass sie Angst hat vor der Globalisierung, vor der Verarmung der Mittelschicht, vor dem sozialen Abstieg. Dass viele meinen, die Vereinigten Staaten hätten ihre beste Zeit hinter sich – und Länder wie China und Indien hätten sie vor sich. Dass die Leute genau wissen, wie unbeliebt die USA in weiten Teilen der Welt inzwischen sind, und dass sie diese Entwicklung gerne rückgängig machen würden. Wenn ich nur ein einziges Wort zur Verfügung hätte, um die herrschende Stimmung zu beschreiben, dann müsste ich nicht lange nachdenken: Verunsicherung.
    Wie weitverbreitet die Angst vor lauernden Gefahren aus fernen Teilen der Welt ist, die als bedrohlich empfunden werden, wurde mir Anfang Dezember klar. Da erschoss ein Amokläufer in einem Einkaufszentrum in Omaha, Nebraska, acht Menschen und tötete sich danach selbst. Der 19-jährige Schütze war Bürger der Vereinigten Staaten. Er hatte die Tat mit einem halbautomatischen Sturmgewehr begangen. Und worüber wurde in den folgenden Tagen diskutiert? Ob Waffenbesitz vielleicht doch besser kontrolliert werden sollte? Ob es wirklich eine gute Idee ist, Teenagern den Zugang zu Waffen so leicht zu machen? Nein. Darüber wurde nicht diskutiert. Sondern darüber, ob nicht die Sicherheitsvorkehrungen in Einkaufszentren – beispielsweise mit Metalldetektoren – verbessert werden sollten, da ja die Gefahr bestünde, dass auch Terroristen sich Zugang zu solchen Gebäuden verschaffen. Als ob das, was tatsächlich passiert war, nicht schlimm genug gewesen wäre, ohne dass zusätzlich imaginäre Bedrohungen hätten heraufbeschworen werden müssen.
    Die Diskussion über die Notwendigkeit der Terrorbekämpfung in Einkaufszentren steht übrigens meiner Ansicht nach nicht im Widerspruch zu der Tatsache, dass sich niemand, mit dem ich gesprochen habe, persönlich von Terroristen bedroht fühlt. Sie belegt nur, was ich auch in anderem Zusammenhang beobachtet zu haben glaube: Die rasanten Veränderungen der globalen Welt lassen das Bedürfnis nach Sicherheit und geordneten Verhältnissen zu Hause wachsen. Ich denke, daraus erklärt sich auch der große Zulauf zu evangelikalen Glaubensgemeinschaften. Die bieten wenigstens sichere, dauerhaft gültige Antworten in einer Zeit der allgemeinen Ratlosigkeit.
    Die Sehnsucht nach einer politischen Führung, vor allem nach einem Präsidenten mit Visionen und dem vermeintlichen Mut, einen gordischen Knoten zu zerschlagen, ist groß. Mir ist eine solche Sehnsucht unbehaglich. Visionen ziehen ja oft fürchterliche Folgen nach sich, wenn sie in die Realität umgesetzt werden. Aber was wird geschehen, wenn diese Sehnsucht unerfüllt bleibt? Wird sich die Neigung verstärken, politische Probleme mit aussichtslosen Kriegen lösen zu wollen, die den Frieden auf der ganzen Welt gefährden? Oder wird die Zahl jener wachsen, die sich am liebsten in die Wagenburg zurückziehen wollen und einem neuen Isolationismus das Wort reden? Erfreulich wäre beides nicht. Heute wage ich in dieser Hinsicht noch keine Prognose. Und ich glaube auch nicht, dass ich auf dieser Reise noch neue Antworten auf meine Fragen finden werde. Diese Reise ist vorbei.
    Den vorletzten Abend verbringe ich in Atlantic City, New Jersey. In dieser ältesten Spielerstadt der USA wurde das Glücksspiel noch früher legalisiert als in Las Vegas. Inzwischen weiß ich, dass es keinen Ort gibt, an dem die Gesprächsbereitschaft der Anwesenden vergleichbar gering ist wie in einem Kasino. Das kommt mir entgegen. Ich verliere etwas Geld am Automaten und fahre am nächsten Morgen weiter nach New York.
    Als John Steinbeck nach Hause wollte, da hat er sich auf der Zielgeraden verfahren. Ausgerechnet in New York musste er einen Polizisten nach dem Weg fragen. Das soll mir nicht passieren, ich will und werde meinen Abflugtermin
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