Bücher online kostenlos Kostenlos Online Lesen
Berlin Gothic: Thriller

Berlin Gothic: Thriller

Titel: Berlin Gothic: Thriller
Autoren: Jonas Winner
Vom Netzwerk:

     
    Es sieht ihn an. Es ist ein Auge und es sieht ihn an.
    Tills Zwerchfell zieht sich zusammen, mit einem Zischen saugt er die Luft durch die Zähne in seinen Körper.
    Das Auge blinzelt.
    Er will etwas sagen. Ein Röcheln kommt aus seinem Mund.
    „Tschschsch tschschsch“, säuselt es. Das Auge wird von einem Lid halb bedeckt.
    Tills Blick zuckt nach oben. Über das Lid, die abrasierten Augenbrauen, die Stirn. Bleibt an einem Höcker hängen. Eine Erhebung. Zuckt zurück zu dem Auge. Springt in das andere Auge.
    Er hört ein Glucksen. Die Augen scheinen aufzublitzen.
    Er sieht wieder auf die Stirn. Auch über dem anderen Auge: Eine Erhebung, ein Knubbel, ein …
    „Horn.“ Seine Stimme klingt, als würde sie aus einem Gully kommen.
    Der Kopf vor ihm nickt.
    „Ein Horn?“
    Nicken.
    Tills Kopf, den er unwillkürlich ein wenig erhoben hat, sinkt zurück auf die Matratze.
    Das Gesicht vor ihm lächelt.
    Die Lippen teilen sich. Eine Zunge kommt zum Vorschein. Es ist die Zunge einer jungen Frau. Ihre Zunge gleitet über ihre Lippen -
    Till wendet den Kopf entsetzt zur Seite. Ihre Zunge hat sich in zwei Spitzen geteilt.
    „Sieh’ doch mal“, hört er die Frau sagen. Schaut zurück. Sie streckt die eine Zungenspitze nach oben, die andere nach unten, nähert sich ihm, lässt die beiden Spitzen kreisen.
    Till fühlt, wie sich seine Handflächen in die Matratze graben. Schlagartig wird ihm bewusst, dass ihn glühende Hitze durchzieht.
    Nicht, will er rufen, bitte - nicht! Nicht näher kommen. Ihre Zungenspitzen tanzen vor seinen Augen. Sie beugt den Kopf, die Höcker rücken ins Gesichtsfeld. „Willst du mal berühren“, hört er sie flüstern.
    „Nein“, es rasselt in seiner Kehle, „mir … ist nicht gut - es ist so heiß - “
    Ihr Kopf zuckt wieder nach oben, so dass ihre Augen vor seinen aufscheinen. „Magst du mich nicht?“
    „Doch!“ Ihn schwindelt. „Ich … ein Glas Wasser - kann ich - “
    „HALLO“, platzt eine Stimme dazwischen, die junge Frau, die sich über Till gebeugt hat, fährt zurück.
    „HALLO - IST DA JEMAND?“ Die Stimme schneidet laut durch den nur schlecht beleuchteten Raum. Die Frau wendet sich zu den anderen Gestalten, die sich hinter ihr zusammengedrängt haben und versuchen, über ihre Schulter hinweg einen Blick auf Till zu erhaschen. Sie hält die Hände offen vor sich hin, als wollte sie die anderen fragen, was sie tun soll.
    „Er ist wach“, wispert sie.
    „Ach ja?“
    Ein massiger Oberkörper drängt sich an ihr vorbei, ein Mann sieht Till in die Augen.
    „Wie fühlst du dich?“
    Till durchzieht Hitze, als würde er in einem Backofen liegen. „Es ist heiß, ich glühe.“
    „Das gibt sich wieder.“ Die Wangen des Mannes sind von fingerbreiten Ziernarben durchzogen. „Es sind die Nähte, aber du brauchst dir keine Sorgen zu machen.“
    Was für Nähte?
    „Ängh … “, kommt es aus Till heraus.
    Der Mann über ihm rückt wieder ein wenig ab und nickt mit dem Kopf zur anderen Seite des Raums. Mit Mühe gelingt es Till, den Blick dorthin zu wenden.
    Was er sieht, legt sich wie ein Brenneisen auf seine Netzhaut. Der Leib einer Frau hängt an Fischhaken waagerecht unter der Decke. Die Haken sind durch das nackte Fleisch getrieben, zwölf oder sechzehn Nylonseile daran befestigt, an denen sie baumelt. Die Haut und das darunter liegende Gewebe werden durch die Last fast zehn Zentimeter hoch vom Körper abgezogen. Ihr Kopf ist tief in den Nacken gesunken, ihre Unterarme und Unterschenkel, in denen keine Haken stecken, hängen schlaff herab. Unendlich langsam dreht sich ihr Körper in der aufgeheizten Luft.
    „IST DA JEMAND?!“, schlägt wieder die Stimme durch das Halbdunkel - aber die Gestalten, die sich um Till geschart haben, zischeln nur, fassen sich gegenseitig an ihre künstlichen Hörner und Narben, ohne dem Rufenden, den Till nicht sehen kann, zu antworten.
    Wasser, hämmert es in Tills Schädel, ich muss etwas trinken - aber er kann sich nicht rühren, fühlt sich wie einbetoniert. Sein Blick wandert nach unten, er will sehen, warum er so glüht - doch sein Körper ist unter einer Decke verborgen.
    „Bleib erstmal noch liegen“, sagt der Mann neben ihm und zupft an einer Kette, die durch sein Ohr gezogen ist. „Du bist noch nicht fertig.“
    Was? Der Schwindel, der Till durchzieht, verstärkt sich. „Was … was heißt ‚noch nicht fertig’?“ Seine Stimme klingt kraftlos wie ein sterbender Vogel.
    „Du darfst noch nichts trinken, aber es dauert
Vom Netzwerk:

Weitere Kostenlose Bücher