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Auf der Suche nach Amerika - Begegnungen mit einem fremden Land

Titel: Auf der Suche nach Amerika - Begegnungen mit einem fremden Land
Autoren: Bettina Gaus
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steht »Wohnwagenabstellplatz«. Das ist falsch.
    Man kann den Übersetzern keinen Vorwurf machen – es gibt in Deutschland nichts Vergleichbares. In einem Trailer-Park wie dem in Branford stehen vorwiegend »mobile« Wohnhäuser: Häuser auf Rädern, meist so groß wie ein normales Fertighaus, die von Sattelschleppern über die Autobahn zu ihrem Bestimmungsort gezogen werden. Als Steinbeck durch die USA reiste, waren diese Unterkünfte noch Neuheiten. Sie kamen schnell in Mode.
    »Wenn ein Werk oder eine Fabrik schließt, sitzt man nicht mit dem unverkäuflichen Eigentum da«, zitiert Steinbeck einen Besitzer. »Angenommen, ein Familienvater hat einen Job und baut sich ein Haus, und dann wird er entlassen. Das Haus verliert rasch an Wert. Hat er jedoch ein Haus auf Rädern, dann mietet er sich einen Sattelschlepper und zieht woanders hin und hat nichts verloren. Vielleicht muss er das niemals tun, aber zu wissen, dass er es könnte, gibt ihm ein beruhigendes Gefühl.«
    Möglich, dass einige Eigentümer der fahrbaren Heime das auch heute noch so empfinden. Aber im ganzen Land zeugen liebevoll angelegte Gärten um die Trailer mittlerweile eher vom Bedürfnis nach Beständigkeit. In manchen ländlichen Gegenden haben sie die traditionellen Farmhäuser schon weitgehend verdrängt. John Steinbeck fragte sich noch, ob die schnell und sprunghaft steigende Popularität des neuen Häusertyps ein Hinweis darauf sei, »dass die Amerikaner ein rastloses Volk sind, nie zufrieden mit dem Ort, den sie sich ausgesucht haben?« Inzwischen steht fest, dass die große Mehrheit der Trailer-Besitzer bei ihrer Kaufentscheidung von einem sehr viel nüchterneren Motiv geleitet wird. Ein Haus auf Rädern ist einfach billiger als ein anderes Eigenheim mit vergleichbar großer Wohnfläche und in vergleichbarer Lage.
    Billiger: das kann immer noch sehr teuer sein. Zeitungsberichten zufolge ist im kalifornischen Malibu vor zwei Jahren ein Trailer für 1,4 Millionen Dollar verkauft worden – mit Marmorfußboden, offenem Kamin und Terrasse zum Meer hin. Die Monatsmiete für den Standplatz betrug 2700 Dollar, inbegriffen waren der Swimmingpool und ein Tennisplatz im Gemeinschaftsgarten.
    Skurril. Deshalb hat die Redaktion von USA Today das ja auch für berichtenswert gehalten. Gemeinhin wird mit einem Trailer nicht die Idee von Luxus verbunden, sondern allenfalls der Gedanke an praktischen Komfort. Ein Hauch von sozialem Hochmut – und gelegentlich auch mehr als ein Hauch – ist oft spürbar, wenn Leute in festen Häusern über Trailer-Parks sprechen. Aber was denken und empfinden diejenigen, die selbst in solchen Parks wohnen? Um es herauszufinden, wird man sie fragen müssen. Es kostet mich ein wenig Selbstüberwindung, aber der Wunsch nach einem ausführlichen Gespräch ist inzwischen dringlich genug. Deshalb verlasse ich am frühen Nachmittag mein Motel und klingle am ersten Haus oben an der Straße. Ein alter Mann öffnet die Tür.
    Überraschend herzlich werde ich begrüßt und hereingebeten, bevor ich auch nur die Zeit habe, mich vorzustellen und mein Anliegen vorzubringen. Ein Missverständnis, das sich erst im Wohnzimmer aufklärt: Der 84-jährige Harry Bruner hat mich irrtümlich für die Gemeindeschwester gehalten, die sich zur Krankenpflege bei seiner gleichaltrigen Lebensgefährtin angemeldet hatte. Wir alle lachen herzlich über den Irrtum, und Leute, mit denen man gemeinsam gelacht hat, wirft man nicht mehr so leicht aus der Wohnung.
    Ohnehin macht das alte Paar den Eindruck, als sei ihm die Abwechslung meines Besuchs nicht unlieb. Nancy Pfeifer liegt auf dem Sofa, weil die Beine nicht mehr so recht wollen – aber der Kopf will durchaus. Lebendig und anschaulich kann sie erzählen, mit eleganten, ausdrucksvollen Handbewegungen unterstreicht sie das, was ihr wichtig ist. Ist diese Frau mit den tiefschwarzen Haaren und dem glatten Gesicht wirklich schon 84 Jahre alt? Ich hätte sie 15 Jahre jünger geschätzt, und ich sage ihr das auch. Sie lacht vergnügt, und ihr Freund betont stolz: »Bis heute muss sie ihr Haar nicht färben!« Da schaue ich dann doch ein wenig ungläubig, und sie richtet sich auf und ruft energisch, fast streng: »Keinen Tag habe ich es gefärbt. Keinen Tag!«
    Nancy hieß früher Nadja. Sie stammt aus Russland und ist erst 1949 in die Vereinigten Staaten gekommen. Die neue Heimat war gut zu ihr. Sie fand schnell Arbeit in einem Restaurant, das sie später leitete. Hochzeit, zwei Kinder, ein schönes Haus
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