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Sturmbote

Sturmbote

Titel: Sturmbote
Autoren: Tom Lloyd
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Prolog: Erster Teil

    Ein runzeliges Gesicht sah auf die Straße hinaus und hob sich dabei bleich vom Dunkel des Torbogens ab. Der Platz vor ihm lag menschenleer, und doch war alles in Bewegung, denn ein immer gewaltiger werdender Wolkenbruch verwandelte die festgestampfte Erde in hochspritzenden Matsch. Der alte Mann hatte sich einen dicken Wollschal über den Kopf geworfen und fest unter dem Kinn verknotet, so dass der mittlerweile tropfnasse Stoff sein Gesicht umrahmte. Besorgnis lag in seinen Augen, weil er nur den Regen erblickte, der den Boden aufweichte, in Strömen von den Dächern lief und die Gosse in der Mitte der Straße überflutete. Das Hautbild einer schwarzen Feder auf der rechten Seite seines Gesichtes sah verschrumpelt aus; im Laufe der Jahre waren die einst scharfen Linien verblasst. Die lauten Geräusche des sintflutartigen Regens erfüllten die Luft, während der alte Mönch in der Dunkelheit erschauderte. Es schien ihm, als wolle ihn der Regen zurück in die Schatten spülen.
    »Wo bist du, Mayel?« Seine Stimme war nur ein zitterndes Flüstern, doch kaum hatte er die Worte ausgesprochen, da bog eine Gestalt um die Ecke und kam auf ihn zu, die Arme zum Schutz vor dem Sturm vergeblich über den Kopf gehoben.
    Mayel lief geradewegs auf den Torbogen zu, den Kopf zwischen die Schultern gezogen, und stürmte in die dunklen Schatten des
Bauwerks, das dem alten Mann Schutz bot. Er schüttelte sich so heftig wie ein Hund und spritzte das Wasser in alle Richtungen.
    »Abt Doren«, sagte er eindringlich. »Ich habe ihn gefunden. Er wartet in einer Schenke auf uns, nur einige Straßen östlich von hier.« In seinen Augen lag ein triumphierendes Funkeln, das den Abt betrübte. Mayel war noch jung genug, um all dies für ein großes Abenteuer zu halten; es war wohl noch nicht bis zum Geist des Novizen vorgedrungen, dass ihnen ein Mörder auf den Fersen war.
    »Ich habe dich gewarnt«, sagte der alte Mann, »dies ist kein Spiel. Sogar die Andeutung meines Namens könnte unseren Tod bedeuten.«
    »Aber hier ist doch niemand!«, protestierte Mayel erschrocken.
    Offensichtlich hatte er nicht mit einem weiteren Tadel gerechnet; der junge Mann hatte Lob verdient, das wusste der Abt. Aber wenn es um ihre Sicherheit ging, durften sie sich keine Nachlässigkeiten erlauben. Dafür war ihre Mission zu wichtig.
    »Trotzdem musst du vorsichtig sein. Du kannst nie mit Sicherheit wissen, wer in der Nähe ist. Indes, du hast es ja gut gemacht. Suchen wir uns also einen warmen Ort mit einer warmen Mahlzeit und einem Bett für die Nacht. Morgen finden wir dann gewiss eine Bleibe für längere Zeit.«
    »Ich glaube, mein Vetter kann uns da helfen«, sagte Mayel und versuchte trotz des Sturms wieder fröhlich zu klingen. »Er vermietet Zimmer an Arbeiter, wird uns also gewiss einen guten Preis machen – und auf uns aufpassen.«
    Er begann in der Kleidung, die klamm auf seiner Haut klebte, zu zittern. Mit einem nervösen Blick unter dem Torbogen hervor sah er das wütende Grau des Himmels. Es war Frühsommer, doch glich die Nacht eher einem Herbstabend. Es war, als beraubten ihre Verfolger, je näher sie kamen, die Jahreszeit immer stärker ihrer Freude und Wärme.

    »Wir brauchen ein Haus, etwas mit einem Keller«, sagte der Abt. »Ich habe Arbeit zu erledigen, benötige völlige Abgeschiedenheit. Die Zeit läuft uns davon.«
    »Das verstehe ich nicht.« Mayel starrte den alten Mann an und fragte sich, was wohl so wichtig sein könne, während sie eigentlich um ihr Leben liefen.
    »Wenn Prior Corci herausfindet, wo wir uns befinden, muss ich auf ihn vorbereitet sein – und dazu brauche ich deine Hilfe. Du sollst nicht nur die Bücher tragen, sondern mich auch vor dem Rest dieser Stadt schützen.«
    »Müssen wir all diese Bücher wirklich bei uns führen?« Mayel klang verständlicherweise ärgerlich. Er hatte die sechs dicken Bände schon zwei ganze Wochen lang mit sich herumgeschleppt.
    »Du weißt, was sie bedeuten, Junge. Die Schriften unseres Ordens sind heilig. Dieser Verräter hat es vielleicht geschafft, mich aus meinem Kloster zu vertreiben, aber er wird mich nicht auch noch dazu zwingen, die Traditionen aufzugeben, die er zu zerstören trachtete. Die Bücher müssen sich stets in der Nähe des Abtes befinden – das ist die allererste Lektion, die man uns beibringt.«
    »Das weiß ich natürlich«, sagte Mayel, »aber seid Ihr denn auch noch Abt, nachdem Ihr von der Insel geflohen seid?«
    Der alte Mann
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