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Power Down - Zielscheibe USA (German Edition)

Power Down - Zielscheibe USA (German Edition)

Titel: Power Down - Zielscheibe USA (German Edition)
Autoren: Ben Coes
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1
    CAPITANA-TERRITORIUM
    PAZIFISCHER OZEAN
    460 KILOMETER VOR DER KOLUMBIANISCHEN KÜSTE
    160 Kilometer nördlich des Äquators, per Schiff eine Tagesreise von der nächstgelegenen Küste entfernt, trafen vor einer Kulisse aus düsterem Wasser und sternenübersätem Himmel heftige Meeresströmungen aufeinander. An dieser Stelle schwelten aus der Öffnung eines Aluminiumrohrs wütend zwei Flammenspiralen gut 450 Meter hoch in die Luft.
    Es war Mitternacht. Kilometerweit konnte man die Flammen der Gasfontäne in allen Richtungen erkennen. In den trostlosen Wassermassen boten die orangefarbenen und schwarzen Rauchwolken ein atemberaubendes Schauspiel. Obwohl das Feuer und die wogenden Schwaden wie das reinste Chaos wirkten, handelte es sich doch um eine kontrollierte Verbrennung. Auf der größten Offshore-Ölplattform der westlichen Hemisphäre wurde die wie Helium über dem wesentlich dichteren, wertvolleren Erdöl treibende Schicht aus Naturgasen abgefackelt. Zu diesem Zweck hatte man die acht Milliarden Dollar teure Bohrinsel errichtet.
    Dies war das Capitana-Territorium, der größte je da gewesene Ölfund außerhalb der arabischen Halbinsel, ein 68 Milliarden Barrel umfassendes Vorkommen – ein »Superriese«, wie Ölleute es nennen. Es befand sich unter einem Abschnitt des Meeresbodens vor der Westküste Südamerikas. Vor noch nicht einmal zehn Jahren hatte eine mittelständische texanische Ölgesellschaft den Fund gemacht – Anson Energy, mittlerweile ein Gigant, selbst nach Maßstäben der amerikanischen Energiewirtschaft.
    Vom daruntergelegenen Deck aus beobachtete ein hochgewachsener, bärtiger Mann mit eingesticktem ANDREAS-Namenszug auf dem Jeanshemd die Fackeln. Sein braunes Haar war lang, zerzaust und seit Tagen nicht mit Shampoo in Berührung gekommen. Erstaunlich blaue Augen und eine sonnengebräunte Adlernase bahnten sich den Weg an einem von Bartwuchs überdeckten Schnauzer vorbei. Ein gut aussehender Mann, der auf Äußerlichkeiten oder das, was seine Mannschaft über ihn dachte, keinen Wert legte. Er zog ein letztes Mal an seiner Zigarette und schnippte sie in den finsteren Ozean unterhalb der Plattform.
    Hätte es sich um eine Papiermühle in den Wäldern Maines gehandelt, hätte man Dewey Andreas wohl als Werksleiter, in einer Stahlhütte in Pennsylvania als Vorarbeiter bezeichnet. Doch sie befanden sich auf einer Bohrinsel mitten im Meer und die 420 Roughnecks, die hier rund um die Uhr lebten und arbeiteten, Gesichter und Kleidung von Schmiere, Salz, Schweiß und Öl bedeckt, nannten Dewey bloß »Kolonnenführer«. Oder einfach »Chief«.
    Kaum einer der Arbeiter mochte Dewey Andreas, aber sie respektierten ihn alle. Auf der Bohrinsel galt sein Wort als Gesetz. In Nordeuropa hatte Dewey gelernt, worauf es beim Ölbohren ankam – auf den wackeligen, dem Tod trotzenden Bohrtürmen direkt vor dem bitterkalten Nordseeschelf. Er führte Capitana wie ein Colonel der US-Marines ein Bataillon in Kriegszeiten. Mit kompromissloser Disziplin, Entscheidungen im Sekundentakt und absoluter Autonomie. Deweys Augen verrieten seinen Männern, dass er nicht beabsichtigte, sich von irgendjemandem etwas gefallen zu lassen. Das unterstrichen auch seine kräftigen, muskelbepackten Arme, ein Ergebnis jahrelanger harter Arbeit auf Ölplattformen. Obendrein war er stets bereit, seine Fäuste einzusetzen, um der ständigen Herausforderung, der sich jeder Vorarbeiter auf jeder Bohrinsel der Welt tagtäglich gegenübersieht, zu stellen: die Herde im Zaum zu halten.
    Dewey ließ weder Schwäche noch Unzulänglichkeiten, Faulheit oder Ungehorsam durchgehen. Wer ihm dumm kam, musste damit rechnen, dafür mit seinem Job – oder Schlimmerem – zu bezahlen. Unter den Männern kursierten Gerüchte, wie brutal und gewalttätig Dewey sein konnte. Aber dafür lag die Bezahlung für den Haufen ungebildeter Rohlinge, die das Capitana-Feld am Laufen hielten, weit über dem Schnitt.
    Die Plattform, auf der Dewey stand, war der zentrale Überbau für das gesamte Gebiet. Die Anlage selbst glich einer riesigen Industriestadt aus Rohrleitungen, Metall, Leitern und Kaminen zum kontrollierten Abfackeln, die sich wie ein Zentaur auf starken Stahlpfählen aus den dunklen Wassern des Pazifischen Ozeans erhob.
    In der Ferne konnte man eine Reihe von 30 kleineren, unbemannten, mit Stahltrossen verankerten Produktionsplattformen ausmachen. Diese sogenannten Mini-TLPs speisten die zentrale Anlage und trugen dazu bei, dass das Öl stetig floss,
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