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Ein himmlischer Gärtner in Hamburg 2.Michael

Ein himmlischer Gärtner in Hamburg 2.Michael

Titel: Ein himmlischer Gärtner in Hamburg 2.Michael
Autoren: Sissi Kaipurgay , Kooky Rooster , Shutterstock Fotos
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Hamburg Ohlsdorf – es nieselt
     
    Ich mag meinen Job. Gut, er ist manchmal stupide, aber ich bin an der frischen Luft und liebe es, in der Erde zu wühlen. Nekrophilie , hat mein Seelenklempner behauptet, nur weil Tote in dieser Muttererde liegen. So tief komme ich doch gar nicht. Dann könnte er mir auch gleich noch Sitophilie (sexuelle Handlungen mit Lebensmitteln) vorwerfen, weil ich es liebe, Gemüse zu schneiden oder gar Salirophilie , (Erregung mit Brei, Schleim oder Schlamm einen Sexualpartner zu beschmieren), nur weil ich gerne im Matsch spiele und das möglichst nackt und mit einem geilen Kerl. Moment, das ist nur eine Phantasie, gemacht habe ich das nämlich noch nie.
    Vor meiner Krankheit war ich auch schon so gepolt, habe es aber nur nicht gemerkt. Es ist, als hätte diese verdammte Gehirnentzündung, die sich meiner vor etwa sechs Jahren bemächtigt hat, meine geheimen Neigungen an die Oberfläche gespült. Ich nehme sogar den Teddybär wieder mit ins Bett, wofür es auch einen Namen gibt: Arktophilie. Bei so vielen Philien bleibt von mir kaum noch was übrig.
     
    Ich bin Joschi Baumann, zweiunddreißig Jahre alt und vor drei Jahren neu geboren worden. Das war der Zeitpunkt, ab dem ich Menschen wieder erkannte und begann, aktiv am Leben teilzunehmen. Davor war ich drei Jahre lang ein sabberndes Monstrum, das nicht einmal allein aufs Klo gehen konnte und niemanden an sich heranließ. Die Entzündung meines Gehirns kam vollkommen unerwartet und bis heute finden die Ärzte den Auslöser nicht.
    Das ist mir heute – mal ehrlich gesagt – scheißegal. Meinen alten Beruf als Buchhalter kann ich nicht mehr ausüben, da über ein Viertel meines Gehirnes tot ist. Ich verwechsle Zahlen und Buchstaben, finde oft nicht die richtigen Worte und kann mich nicht konzentrieren. Es wird zwar täglich besser, aber vielleicht will ich auch nicht zurück.
    Ich habe eine kleine Wohnung in Barmbek Nord, günstig und gut gelegen. Mein Leben habe ich mir so eingerichtet, dass ich zurechtkomme. Rituale sind wichtig und so halte ich mich an einen genauen Tagesablauf, ohne den ich mich verloren fühlen würde. Vielleicht brauche ich das, weil in meinem Kopf oft Unordnung herrscht, vielleicht aber auch, weil ich ein Pedant bin, wer weiß.
    „Joschi, träum nicht“, ruft Gärtnermeister Müller.
    Ich nicke und merke, dass ich tatsächlich minutenlang bewegungslos dagehockt haben muss. Meine Beine sind ganz steif und das Aufrichten ist schmerzhaft. Ich strecke mich und folge der Kolonne, die sich bereits der nächsten Rabatte angenommen hat.
    „Alles okay mit dir?“, fragt Joachim Müller zuvorkommend und besorgt.
    Der Kerl hat eine Zusatzausbildung: Umgang mit Irren, oder so. Ich gebe ihm mit einem Nicken zu verstehen, dass ich in Ordnung bin. Sprechen mag ich nicht so gern, mir fehlen einfach die Worte.
     
    Der Nieselregen hat endlich aufgehört und die Sonne tastet sich durch die Blätter der Bäume einen Weg bis zu uns hier unten. Wie  wärmende Finger gleitet sie über meinen  Kopf und sofort wird die Öljacke zu warm. Ich streife sie ab und binde sie mir mit den Ärmeln um die Taille. Meine Kollegen machen es mir nach, einigen davon, weil sie immer alles nachmachen, andere, weil sie durch mich auf die Wärme aufmerksam wurden. Oh ja, die Kolonne trägt ihren Namen zu recht. Ich bin wohl noch der Hellste hier, ein gutes Gefühl, denn dort draußen, in der realen Welt, bin ich wieder der dümmste Mensch unter vielen Klugen.
    Wir arbeiten heute in der Nähe von Kapelle zwölf, deren Revier ich besonders mag. Hier gibt es eine Stelle, die künstlerischen Grabsteinen vorbehalten ist. Vom Pilz bis zur Schnecke sind hier alle erdenklichen Kunstwerke zu bestaunen.
    In der halbstündigen Mittagspause, in der die anderen in eine nahegelegene Bude gehen (Jargon für die Umkleide- und Essensräume eines Reviers) um dort ihr Essen zu verspeisen, packe ich die mitgebrachte Stulle aus und schlendere zu diesem besonderen Ort, um zum wiederholten Male die Grabsteine zu bewundern.
    Die Schnecke hat es mir besonders angetan. Allein schon die Location: Von einer mannshohen Hecke umgeben und von ein paar schlanken Birken beschattet, liegt die Wiese still da. Wassertropfen hängen an den Grashalmen und reflektieren das Licht, so dass es aussieht, als wären Lichter auf den Rasen gepflanzt. Wunderschön. Ich atme tief ein und schließe für einen Moment die Augen, bis das schwerfällige Brummen einer Hummel mich aus der Versunkenheit
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