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Artikel 5

Artikel 5

Titel: Artikel 5
Autoren: Kristen Simmons
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als hielte ich einen Eimer, der allmählich mit Wasser gefüllt wurde. Als Tucker hinter einer Biegung verschwunden war, konnte ich kaum noch den Arm heben.
    Chase legte mir sanft eine Hand auf die Schulter und fuhr über meinen Bizeps herab zum Handgelenk. Schließlich entrang er mir die Waffe. Meine Ohren klingelten.
    Ich sah zu, wie er das Magazin herausnahm und in die Tasche steckte. Dann warf er die Waffe in eine sauber gestutzte Hecke, nah genug, dass Tucker den Hügel wieder würde heraufklettern müssen, um sie zu finden. Falls er sie überhaupt je fand.
    »Wir müssen los«, sagte Chase.
    Ich führte ihn zurück hinter das Krematorium, dorthin, wo die Asphaltfläche am Waldrand endete. Hier gab es dichtes Gestrüpp, das an dem Stoff meines Rocks zerrte und kleine Löcher hineinriss. Einige der Äste verhakten sich auch an meinen Beinen, aber ich bemerkte das nur auf eine ganz sachliche Art, so als wäre ich eine Unbeteiligte und würde meinen Körper von oben beobachten.
    Mein Gehirn rotierte immer noch unter dem Eindruck der Ereignisse der letzten fünf Minuten, und ich konnte an nichts anderes denken als an den Mörder meiner Mutter.
    Hätte ich Tucker töten sollen? Hätte Chase ihn töten sollen? Nun konnte Tucker noch so vielen anderen wehtun. Aber auf diese Fragen gab es keine einfache Antwort.
    Der Pfad führte hangabwärts zu dem Vorort. Hatten wir die Häuser erst erreicht, mussten wir vorsichtig sein. Es war von größter Wichtigkeit, dass wir von dem Hügel hinter dem Stützpunkt aus nicht gesehen werden konnten.
    In einer engen Gasse machten wir eine Pause. Chase rang um Atem und presste die Handballen an den Kopf. Ich wünschte, ich hätte ihm den Schmerz nehmen können.
    Ich hielt Ausschau nach Soldaten, entdeckte aber keine Anzeichen dafür, dass wir verfolgt wurden.
    »Wir müssen in Bewegung bleiben.« Ich schob meinen Arm unter seinen, um ihn zu stützen. Er wehrte sich nicht, was mich erschreckte. Die Gehirnerschütterung schien ziemlich schlimm zu sein. Wir mussten einen Arzt auftreiben.
    Es war mitten am Vormittag, als wir unser Ziel erreichten. Der Parkplatz sah verlassen aus, abgesehen von einem hageren ehemaligen Reformschul-Wachmann, der sich in der Nähe des Müllcontainers herumtrieb.
    Sean starrte uns mit offen stehendem Mund entgegen.
    »Ihr habt es wirklich geschafft«, sagte er voller Ehrfurcht.
    Chase drückte meine Hand. »Sie hat das geschafft. Ich habe nichts getan …«
    »… abgesehen davon, dass du dich kräftig hast in den Arsch treten lassen«, griff Sean den Faden auf.
    Zu meiner Verwunderung grinste Chase.
    Wie es schien, waren die beiden inzwischen Freunde geworden. Vielleicht konnten Sean und ich auch eines Tages Freunde sein. Ich nahm ihm nicht übel, dass er mir nichts über meine Mutter erzählt hatte; die Menschen taten so gut wie alles, um die zu schützen, die sie liebten. Wenn es jemanden gab, der das wissen musste, dann waren das wir.
    Ich ging geradewegs auf Sean zu und nahm ihn in die Arme.
    »Danke, dass du gewartet hast«, sagte ich.
    »Ich muss dir sagen, Miller, ich habe nicht erwartet, dich noch einmal wiederzusehen.« Die Fassungslosigkeit in seinen Zügen wich einem Ausdruck von Besorgnis.
    »Sie haben Rebecca verlegt«, informierte ich ihn, noch ehe er fragen konnte.
    Seine Augen wurden größer. »Wohin?«
    »Ein Resozialisierungszentrum in Chicago.«
    »Ein … was? Woher weißt du …?«
    »Nicht wichtig. Dort ist sie jedenfalls«, sagte ich. Chase musterte mich, stellte aber keine Fragen.
    Später, wenn wir in Sicherheit wären, würde ich ihm erzählen, was in Tuckers Büro vorgefallen war und dass mir meine eigene Handlungsweise, nun, da ich wusste, was Tucker getan hatte, noch mehr zu schaffen machte. Irgendwann würden wir Zeit haben, darüber zu sprechen, wie ich unsere Flucht eingefädelt hatte und was ich auf dem MM -Stützpunkt gesehen hatte. Aber jetzt mussten wir uns erst einmal verstecken.
    »Gib Bescheid«, sagte Chase zu Sean. Ich starrte ihn nur verwirrt an.
    Sean trat einen Schritt zurück. Einen Moment später schüttelte er den Kopf, konzentrierte sich wieder auf das Hier und Jetzt und zog ein Funkgerät aus dem Gürtel. Es sah beinahe genauso aus wie das, was Chase von der MM bekommen hatte, nur kleiner, und es klickte hektisch, als er es einschaltete.
    »Paket ist abholbereit«, sagte Sean und musste sich räuspern. Eine ganze Reihe verschiedener Gefühle schlug sich auf seinem Gesicht nieder.
    Beinahe eine Minute
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