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Artikel 5

Artikel 5

Titel: Artikel 5
Autoren: Kristen Simmons
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zuzunicken, ehe ich mich mit der Schulter gegen den Wagen stemmte und ihn so lange hin- und herwiegte, bis er hinaus auf den leeren Korridor rollte.
    Mit gespannten Sinnen machte ich mich auf den Weg zum Fahrstuhl. Derweil konnte ich das schrille Klappern dieses blöden Rads hören und dann, als ich mit zitterndem Finger auf den Knopf drückte, auch meinen eigenen Herzschlag gleich an meinen Trommelfellen. Die Türen des Lastenfahrstuhls öffneten sich mit einem lauten Scheppern. War das immer so? Ich schaute mich auf dem Gang um. Immer noch nichts.
    Mit dem ganzen Körper an den Wagen gelehnt, schob ich Chase in die Kabine.
    Das Aufzugsgetriebe knarrte und brachte uns Zentimeter um Zentimeter dem Erdgeschoss näher. Ich nutzte die Zeit für mehrere beherrschte Atemzüge, die ich dringend brauchte, um mich wieder zu sammeln.
    Die Tür glitt auf und gab den Blick auf den dunklen Korridor im Erdgeschoss frei, wo ich Delilah ursprünglich hatte zurücklassen wollen. Da dieser Teil des Gebäudes nur wenig genutzt wurde, wurde die Beleuchtung hier nicht automatisch über die Standardenergieversorgung eingeschaltet, und ich schaltete sie auch nicht ein. In der Dunkelheit hielt ich die Luft an, ignorierte die beängstigenden Geräusche und Gestalten, die ich selbst im Geiste schuf, und bog scharf rechts ab. Mit meinem Schlüssel konnte ich die Nebentür problemlos öffnen, und als mir der erste Hauch frischer Luft begegnete, fühlte ich mich beinahe wie neu geboren.
    Ja, ich konnte all das tun. Ich tat es bereits.
    Ich musste die Fersen gegen den Asphalt stemmen, um den Wagen die schmale Gasse hinabzuschieben. Noch zwanzig Meter bis zur Wachstube. Fünfzehn. Zehn.
    Der Wachmann am Tor steckte den Kopf zur Tür heraus.
    Nicht! Ignorier mich einfach! Das hast du gestern auch getan!
    »Wo ist die alte Dame?«, fragte er. Er hatte Pausbacken und ein Grübchen in der Mitte des Kinns.
    »Krank, glaube ich«, antwortete ich und betete, dass sie noch nicht gefunden worden war.
    »Die alte Fledermaus war noch nie krank.«
    Ich zuckte mit den Schultern.
    »Noch ziemlich früh am Morgen für so was, nicht wahr?«
    »Das stammt noch von letzter Nacht.« Bitte, lass mich durch. Bitte, lass mich durch.
    Er drückte auf den Knopf, ein Summton erklang und das Tor öffnete sich.
    Wir passierten es. Mein Herz raste, als ich um die Ecke bog und anfing, den Wagen hangaufwärts zu stemmen. Dabei musste ich unentwegt die Arme durchstrecken, um nicht nach hinten überzukippen.
    »Wir haben es geschafft«, flüsterte ich wie benommen zwischen zwei mühseligen Atemzügen. Mir war klar, dass Chase mich nicht hören konnte, aber das war in Ordnung. Er würde es schon früh genug erfahren.
    Schritt um Schritt schob ich ihn den Hügel hinauf. Endlich erreichten wir das Krematorium. Ich zog den Wagen in die verborgene Ecke neben dem Vordach und schaute rasch nach, ob sich auf der Auffahrt und dem Gipfel des Hügels etwas rührte. Wir waren allein.
    Scheppernd fiel der Metalldeckel herab, und Chase hob den Kopf.
    »Wir haben es geschafft!« Dieses Mal musste ich einen Aufschrei unterdrücken.
    Er verzog keine Miene, bis er sich vergewissert hatte, dass die Zufahrt verlassen war. Als er herausgeklettert war, schoben wir den Wagen zu der Abladestelle am Krematorium. Hinter dem Gebäude war ein bewaldeter Hang, der hinab zu der Trabantenstadt und der Tankstelle führte. Auf diesem Weg würden wir verschwinden.
    »Komm.« Chase ergriff meine Hand.
    Doch da raste mir eine Gänsehaut über den Nacken. Stiefel klapperten über das Pflaster.
    Ich wirbelte herum, und mein Herz sprang mir beinahe in die Kehle.
    Tucker Morris joggte den Hügel hinauf. Allein. Zum Davonlaufen war es zu spät, er hatte uns bereits gesehen. Drei Meter von uns entfernt blieb er stehen, die Hände auf den Gürtel gelegt. Sein Blick ging an mir vorbei und konzentrierte sich ganz auf Chase, der hinter mir stand.
    »Also ist es wahr.« Seine Stimme klang so beklommen wie angewidert. »Ein Soldat im Lazarett hat mir erzählt, du hättest dich gestern Abend gestellt. Davon musste ich mich mit eigenen Augen überzeugen.« Er lachte ironisch. »Auf dem Kontrollblatt an der Tür stand eindeutig ›Jennings‹, aber sie sah gar nicht aus wie du.«
    Delilah . »Hat noch jemand sie gesehen?«, fragte ich und unterdrückte ein furchtsames Flattern in meiner Stimme.
    »Noch nicht«, entgegnete er drohend.
    Es kam mir sonderbar vor, dass Tucker nicht bereits den ganzen Stützpunkt wegen unserer
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