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"Arschtritt" - Senzel, H: "Arschtritt"

"Arschtritt" - Senzel, H: "Arschtritt"

Titel: "Arschtritt" - Senzel, H: "Arschtritt"
Autoren: Holger Senzel
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stand bei meinem Sohn im Wort, und zwei Jahre London mehr oder weniger änderten nichts daran, dass ich da gewesen bin. Dass mir das niemand mehr nehmen konnte. Bei meinem Sohn sah das anders aus. Es war keine Kopfentscheidung, sondern eine aus dem Bauch. Deshalb war ich sicher, dass ich damit leben konnte und nicht hadern würde – so sehr ich dieses englische Leben vermissen würde. Aber kurz vor meinem Gespräch mit dem Chefredakteur rief die Mutter unseres Sohnes mich an und schlug vor: »Vielleicht tut es einem Jungen ja gut, wenn er nicht nur von Frauen erzogen wird. Wenn er ein, zwei Jahre bei dir in London lebt und im Ausland zur Schule geht?«
     
    W A H N S I N N!!! Wundervolle Idee. Aber …
    … ja, wie soll das gehen? Mit einem schulpflichtigen Kind und meinen unregelmäßigen Arbeitszeiten? Das war der erste Gedanke. Nichts lieber als mit meinem Sohn zusammen in London zu leben. Aber es ist ja auch eine große Verantwortung. Er braucht mich, wenn er Heimweh nach den alten Freunden hat oder Probleme in der Schule, und ich muss mich um Hausaufgaben kümmern. Das ist kein Projekt, das ich als gescheitert erklären kann, wenn’s mir zu viel wird. Aber verdammt noch mal,
ich wollte das! Und ja – ich traute mir das zu. Hätte man mir den Vorschlag an meinem 47.Geburtstag in meiner Müllhalde gemacht, hätte ich »Wie soll denn das gehen?« nicht als Frage formuliert. Sondern als Schlusspunkt gesetzt. Jetzt war es erst mal nur eine organisatorische Frage.
     
    Ich zog um in ein kleines Reihenhaus in Chiswick, wegen des Schulbusses. Ich habe unsere gemeinsamen zwei Jahre in London als eine sehr innige und fröhliche Zeit in Erinnerung. Wir waren beide Fremde, und wir entdeckten gemeinsam eine Menge Neues und verliebten uns mehr und mehr in dieses schrullige Land mit seinen liebenswürdigen Menschen. Wir setzten die Space Squirrels jetzt live fort. Lagen zusammen im Bett und erfanden neue Abenteuer zur guten Nacht. Danach ging ich in mein Arbeitszimmer und produzierte die Reportage für die Frühsendungen. Ich war es nicht gewohnt, dass sich das Leben nicht nur um mich drehte. Zeit für mich selbst reduzierte sich auf ein halbes Stündchen vor dem Schlafengehen. Und meist nickte ich ein über meinem Buch. Aber eine Angst hat sich nicht erfüllt: Dass ich meine Freiheit vermissen würde. Vermutlich war ich auch gelegentlich erschöpft und genervt – sicher weiß ich es nicht mehr, weil von den öden Seiten des Alltags nichts hängen geblieben ist in meinem Kopf. »Glückliche Menschen haben ein schlechtes Gedächtnis und reiche Erinnerungen«, sagt der Schriftsteller Thomas Brussig. Ich erinnere mich, mit meinem Sohn Kuchen gebacken und dabei die ganze Küche »bemehlt« zu haben. Ich habe meinen Sohn mit Taschengelderhöhung in die Fußball-AG gequatscht,
damit er was mit anderen Jungs macht. Und ihn dann auch ganz schnell wieder von seinem Leiden erlöst. Ich war auch ein Eigenbrötler als Kind und mein Vater hätte es ebenfalls lieber gesehen, wenn ich mit den anderen Jungs Fußball gespielt hätte. Ich habe mich lange für einen Sonderling gehalten deshalb. Ich habe eine Menge gelernt in diesen zwei Jahren. Zum Beispiel, dass es unlogisch ist, eine Blutorange überhaupt Orange zu nennen – statt »Orote«. Wir haben an verregneten »Im-Schlafanzug-zu-Hause-bleiben«-Tagen Raumschiffe und Burgen aus Lego gebaut und uns im IMAX-Kino köstlich über Zeichentrickfilme in 3-D amüsiert. Dieser kleine Mann hat mich zu Tränen gerührt, als er sich in einem U-Bahn-Tunnel von meiner Hand losriss und einem Bettler sein Taschengeld in den Hut warf: »… so ein armer Mann.« Und mich zum Lachen gebracht, als er auf die Frage nach seinem Berufswunsch sagte: »Entspannungsliegen vorführen.«
    Ich bin nicht beziehungsunfähig! Ich habe bloß die Richtige noch nicht gefunden. Weil ich zu viel Zeit mit den Falschen verbracht habe. Weil ich nicht mit mir allein sein konnte.
    Es waren zwei großartige, innige, glückliche Jahre mit unserer kleinen Männerwirtschaft. Eine Zeit, die das Verhältnis zu meinem Sohn für immer prägen wird. Von der ich mein Leben lang zehren werde. Kurz bevor mein Korrespondentenvertrag endete, begegnete ich der Liebe meines Lebens. »Was für eine Frau«, schwärmte ich meinem Freund Karl vor. »Der Kosmos hält den Atem an!«

    »Ja klar«, antwortete Karl spöttisch, »Müsste schon ganz blau sein inzwischen, der arme Kosmos …«
    »Diesmal ist alles ganz anders –
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