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Arno-Linder 1: Papierkrieg

Arno-Linder 1: Papierkrieg

Titel: Arno-Linder 1: Papierkrieg
Autoren: Martin Mucha
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auseinandergehen?«
    »Hast recht.«
    »Aber noch ist’s nicht so weit, bis dahin müssen wir sehr vorsichtig sein. Mike weiß, dass du bei mir bist. Er hat’s Berti gesteckt. Wenn er ein bisschen nachdenkt, kommt er drauf, dass wir beide jetzt den Fetzen haben.«
    »Was will er machen?«
    »Er kennt ein paar Leute, die ebenfalls scharf drauf sind, und mit denen ist nicht gut Kirschen essen. Aber ich hab ein Druckmittel. Der Tote vorher, das war Benders Majordomus. Momentan halten wir uns beide gegenseitig in Schach, mutual assured destruction gewissermaßen.«
    Sie schaute mich groß an. Offensichtlich hatte sie nicht alles mitgekriegt.
    »Keine Sorge, eine Weile geht das gut und bis dahin bist du verschwunden. Die Schrammen werd nur ich einkassieren. Das halt ich aber schon aus.«
    »Bender is a Warmer?«
    »Wie kommst du darauf?«
    »Na wegen den Ma…, Maschodingsbums. Klingt schweinisch.«
    »Nein, das heißt nur, dass Fred Benders rechte Hand war. Sein Haushofmeister, hätte man früher gesagt.«
    »Warum sagst das denn nicht so, dass es jeder gleich versteht? Willst protzen?«
    »Nein, aber oft bekommt man nicht die Gelegenheit, ein solches Wort zu verwenden. Stell dir vor, du hast eine Chance auf ein Date mit Brad Pitt. Majordomus ist das Gleiche für mich.«
    »Ich steh nicht so auf blonde Männer, aber ich versteh schon.« Ein Moment Pause, dann ernsthaft: »Du bist ziemlich pervers.«
    Das klang stark nach Kompliment. Ich lächelte und nahm einen Schluck von meinem Mokka, dann blickte ich auf meine Armbanduhr. Es war mittlerweile Viertel nach eins. Ich ließ mich in meine Fensterbank zurücksinken, bis zum Vortrag hatten wir noch massig Zeit, die wir bestimmt irgendwie totschlagen würden.
     
    Als ich um 17 Uhr 30 in den Hörsaal C1 trat, war ich angenehm illuminiert. Mila und ich hatten den Nachmittag im Ritter verbracht und danach noch schnell mit meinem letzten Geld Hose und Bluse für sie erworben, denn sie hatte darauf bestanden, bei der Übergabe dabei zu sein. Das barg zwar jede Menge Risiken, aber das Mädchen hatte einen diamantharten Willen und sich schließlich durchgesetzt. Sie saß irgendwo hinten im Saal. Dittrich hatte ich auch schon gesehen, er hatte mir mit Verschwörermiene zugeblinzelt. Ganz nach Plan hatte ich mir beim Empfang zwei Gläser Sekt hineingestellt. Der Alkohol bewirkte, dass die Farben strahlten, das Gescharre und Gemurmel der Leute im Saal Vorfreude erzeugte und ich in Hochstimmung meinen Vortrag begann.
    Ich hatte wohl doch mehr Alkohol in meiner Blutbahn, als mir aufgefallen war, denn bevor das erste Wort heraußen war, hatte ich keine Ahnung, wovon ich sprechen würde. Normalerweise beginnt man einen öffentlichen Vortrag, bei dem nur wenig Fachpublikum anwesend ist, am besten mit einem geistreichen Wortwitz. Dann reicht für den weiteren Vortrag ein Lacher alle 15 Minuten, um die Leute bei der Stange zu halten. Mein Unterbewusstsein wählte einen anderen Weg. Angesichts eines heute Vormittag erlittenen tragischen Verlustes eines guten Freundes, so verkündete ich mit angemessenem Ernst, würde ich den Vortrag meiner momentanen Gemütslage anpassen. Anstatt über soziale Dynamiken spätbronzezeitlicher Gesellschaften und deren Bedeutung für die Krise des spätkapitalistischen Systems würde ich den Tod bei Homer zum Thema machen. Meine Ankündigung wurde mit anteilnehmendem Schweigen bedacht.
    Danach begann ich mit einer Einleitungsfigur über die Bedeutung von Sprache überhaupt. Ich stellte sie als das wichtigste Werkzeug menschlichen Wesens dar, um somit auch der Forschung an, über und mit Sprache ausgezeichnete Bedeutung zuzuschreiben. Dann lenkte ich sachte auf das eigentliche Thema bei Homer hin, den Zorn des Achilles in der Ilias, und dessen Auswirkungen auf die Menschen, die sich unglücklicherweise innerhalb des ›event horizons‹ dieses Ereignisses befanden. Psychologisches und Narrativtheoretisches ließ ich gänzlich beiseite und konzentrierte mich auf diejenigen Teile des Epos, die sich mit dem Horror des Krieges befassen. Ich stellte die Ilias in eine Reihe mit Picassos ›Guernica‹, den Antikriegsfilmen der großen amerikanischen Regisseure, und Remarques ›Im Westen nichts Neues‹.
    Ich kitzelte die drastischen Details, auf die Homer so viel Wert legt, heraus. Die durchstoßenen Zungen, die auslaufenden Augen der vom Speer Durchbohrten und vom Schwert Zerstückelten. Den völlig unglamourösen Tod im Staub der skamandrischen Ebene, ohne Ruhm
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