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Arno-Linder 1: Papierkrieg

Arno-Linder 1: Papierkrieg

Titel: Arno-Linder 1: Papierkrieg
Autoren: Martin Mucha
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ausgezogen hatte bis aufs letzte Hemd.
    Das Girl war in der Küche verschwunden, ich hörte Blech knacken, die Kühlschranktür schlagen, und sie stand in der Tür, neckisch an den Rahmen gelehnt, und nahm einen tiefen Schluck. Ihre Augen waren stark geschminkt, eines blau geschlagen, und der Lippenstift, nicht biersicher, schon ein bisschen verwischt.
    »Eine Spindel«, sagte ich.
    »Was?« Er war konsterniert. »So kleine Mengen gehen net, schleich dich.«
    »Er ist ja schon da, gib ihm doch wenigstens die Spindel, ist ja eh wurscht.« Sie lächelte mir zu. »Wir verkaufen normalerweise nur Geräte, das Zubehör geht da immer nebenbei mit.«
    Er holte ein Messer raus, ließ es schnappen und schlitzte den Plastiksack auf, dann warf er mir eine Spindel zu.
    »Lass stecken, für den Kleinkram verrechne ich dir nix«, sagte er, als ich mein Geld hervorholen wollte. Er ging zu dem Mädchen hinüber, nahm ihr das Bier aus der Hand und tat einen Zug. Sie steckte sich einen Tschik an und die beiden lächelten sich so vergnügt zu, wie es nur eine Mischung aus Hormonen und Alkohol möglich macht. Ohne Zweifel waren sie glücklich, auf ihre Art jedenfalls, und ich neidete ihnen ihr Glück so sehr, dass es schlimmer nicht mehr ging. »Willst du nicht lieber noch was anderes haben? Neue MacBooks, Plasmabildschirm oder ein iPhone?«
    »Wennst an Freund hast, der was a iPhone haben will, schick ihn vorbei. Wir könnens auch gleich freischalten, dann kannst du mit jeder Sim halafonieren.«
    Er griff sich die Kleine, die sich an ihn schmiegte wie ein Kätzchen, und ich war draußen. Ich lief schnell zur Straße raus, steckte den Kopf in den Kragen meines Mantels und schlug die Richtung zur Nationalbibliothek ein.
    Die Nasenlöcher der beiden waren rot gewesen wie die Banner der Sowjetunion. Die Geschäftsidee, mit geklauter Elektronik das schnelle Geld zu machen, war definitiv nicht vereinbar mit der Tsunamiwelle an Koks und Bier, auf der die beiden Vögel ritten. Wahrscheinlich arbeitete er oder ein Freund von ihm am Flughafen. Ich hatte die Kartons mit dem Logo der Flughafengesellschaft gesehen, in denen sie die Elektronik aufbewahrten. Die zwei waren auf dem besten Weg, im Knast zu landen.
    Immerhin hatte ich nicht zu zahlen gebraucht, und so stellte sich die Frage, was ich mit den zehn Euro anfangen sollte. Sie kamen wie gerufen. Wie immer, wenn das akademische Jahr sich dem Ende zuneigt, waren meine finanziellen Angelegenheiten schwer zerrüttet. Ich verschob die dringende Frage auf später und verbrachte den Tag im Lesesaal der Nationalbibliothek.
     

II
    Es war so gegen fünf Uhr, als ich ausgelaugt vom stundenlangen Exzerpieren und mit leerem Magen das Gebäude verließ. Über dem Heldenplatz wölbte sich der violette Abendhimmel, gegen den sich die bronzenen Reiterstandbilder schwarz abhoben. Im Hintergrund bildeten die Kuppeln der beiden Museen eine Scherenschnittkulisse. Wien zeigte sich in seiner ganzen imperialen Schönheit. Auf dem Heldenplatz hingegen quatschten meine Schuhe in den Regenlacken, der Wind pfiff mir durch den Mantel und die Hand an meiner Ledertasche war nach wenigen Sekunden eingefroren. Das half mir, ein Urteil zu fällen. Ich würde die zehn Euro weder in Nahrungsmittel noch in dringend notwendige Unterwäsche investieren, meine Seele musste hofiert werden. Sie brauchte ein Wellness-Weekend und ich wusste auch schon, wo und bei wem ich bekommen würde, was ich wollte.
    Eugen wohnte zu der Zeit in der Anastasius-Grün-Gasse im 18. Bezirk. Er nannte eine kleine Einzimmerwohnung sein Eigen, in der sein Bett den meisten Platz einnahm, ein altes Leninplakat von der Wand lachte und immer eine Espressokanne Kaffee auf dem Herd stand.
    So war es auch diesmal. Kaum war ich durch die Wohnungstür gekommen, hatte ich bereits eine Tasse des kochend heißen Liquidkoffeins in Händen, hergestellt von der verehrungswürdigen Firma Illy, und fand mich auftauend auf einem alten Sofa wieder. Eugen saß mir gegenüber auf seinem Bett und kramte ein Brett hervor. Nichts im Leben ist umsonst, und bei Eugen zahlt man mit Backgammon. Eigentlich ein schönes Spiel, aber nach unzähligen Niederlagen, denen nur unwesentlich wenige Siege gegenüberstanden, machte es einfach keinen Spaß mehr, gegen ihn anzutreten. Aber Preis ist Preis, und dem kann man nicht entrinnen.
    Auch diesmal waren unsere Backgammonspiele keine Duelle, sondern Hinrichtungen. Ich kam mir vor wie ein Delinquent, der einen Schokodegen schwingt, während
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