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Arno-Linder 1: Papierkrieg

Arno-Linder 1: Papierkrieg

Titel: Arno-Linder 1: Papierkrieg
Autoren: Martin Mucha
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einreden, dass wir quitt seien, oder?«
    »Nein, natürlich stehen Sie, bei aller Sympathie, tief in unserer Schuld.«
    »Wie wird diese Schuld für mich zurückzuzahlen sein?«
    »Wir verfolgen ernsthafte Interessen in Ihrer schönen Stadt. Ein Mann Ihrer Qualität wird da immer für uns von Nutzen sein. Keine Angst, Sie werden auch ein wenig davon profitieren. Darf ich Sie nun bitten, noch ein bisschen russische Gastfreundschaft zu genießen?«
    Mila und ich folgten ihm, die beiden Leibwächter uns. Alles war ein wenig unwirklich. In der Spitalgasse wartete schon der Fahrer und wir stiegen ins Auto. Die Russen hatten irgendwo in der Gegend ein Restaurant gemietet. Ähnlich wie in der Suite im Marriott war ein großes Büfett aufgebaut worden, mit kalten und warmen Speisen bestückt. Zur geistigen Stärkung fehlte ebenfalls nichts. Die Stimmung war bereits ausgelassen, als wir eintrafen, steigerte sich aber noch beträchtlich. Wildfremde Menschen fielen einander um den Hals, Emotionen kochten über und der Alkohol floss in Strömen. Mir sind nur mehr einzelne Bilder und Geräusche aus dem weiteren Verlauf jener Nacht in Erinnerung.
    Irgendwann wankten Mila und ich Richtung Gürtel. Ungefähr um halb vier des Morgens. Kein Taxi wollte uns mitnehmen, denn wir hatten nur Fünfhunderter dabei. Wir kamen an einem Café vorbei, dessen Name uns anzog: Na und. Wir gingen hinein und bestellten uns ein letztes Bier. Außer uns war nur die Bedienung und ein mittelaltes Trinkerpärchen anwesend. Die beiden starrten stumpf in ihre Biergläser und sprachen kein Wort. Aus der Jukebox röhrte ›November Rain‹ von Guns’n’Roses. Die Bedienung, so um die 40, mit dunklen Locken, etwas füllig in der schwarzen Servieruniform, kam in ihren Gesundheitsschlapfen zu uns. Sie sprach die Art von Wiener Dialekt, der nur aus Verachtung und Enttäuschung zu bestehen scheint. Wir bestellten ein Bier.
    »Zipfer oder Gösser?«
    »Is wurscht.«
    »Wurscht is a gfüllte Haut. Zipfer oder Gösser?«
    Mila und ich sahen uns an. »Gösser.«
    Ob wir mit einem Fünfhunderter zahlen konnten und dann mit dem Taxi heimfuhren, oder ob die Bedienung das Geld nicht annahm und wie wir dann zahlten, oder ob überhaupt, das kann ich nicht mehr sagen.

XIII
    Der nächste Morgen fand mich allein und elend auf meiner Couch. Ich hatte meine Augen noch nicht geöffnet und der Kater noch nicht seine Krallen gezeigt, als mir schon klar war, dass Mila verschwunden war. Ich atmete tief durch und setzte mich behutsam auf. Als ich in die Küche geschlichen war, machte ich mir eine Kanne Sencha. Auf dem Kühlschrank, unter einem leeren 16er Blech, lag ein Brief. Eigentlich waren es nur ein paar Zeilen auf einem schmutzigen Blatt eines linierten Collegeblocks.
    Als der Tee fertig war, nahm ich die Kanne und eine Schale, zog das Blatt unter der Bierdose hervor und setzte mich auf meinen Sessel. Dann schenkte ich mir die goldgrüne Köstlichkeit ein und labte Geist und Seele. Anschließend las ich Milas Zeilen. Als ich damit fertig war, faltete ich das Blatt sorgsam und verstaute es in meinem Notizbuch. Als Mahnung und als Stachel des Ansporns. Später legte ich die Bach-CD von Yuri Bashmet und Sviatoslav Richter ein, mit dem ›Adiago e piano sempre‹, das ich mittels Repeat-Funktion in die Endlosschleife schickte. Würdige, barocke Schwermut, von Bach in perfekte Tonfolgen gesetzt, voll von tiefem Gefühl, aber nicht ohne eine Spur von eleganter Repräsentation, erfüllte den Raum.
    Mila war gegangen. Sie hatte unsere 200.000 kleinen Freunde mitgenommen. Eine schöne Stange Geld, wie sie schrieb, aber zu wenig, um zu teilen. Ich solle ihr nicht böse sein, so eine Gelegenheit böte sich nur einmal im Leben, die müsse sie ergreifen.
    Als die Kanne Sencha leer war, hatte ich mich soweit gefangen, dass ich wieder in mein beschauliches Gelehrtendasein zurückkehren konnte. Die nächsten Wochen waren ganz der philologischen Arbeit gewidmet. Wie vor dem verhängnisvollen Joyride verbrachte ich meine Zeit in Bibliotheken und Archiven, ganz in den sinnlichen Genuss philologischer Kontemplation versunken. Ich hielt meine Lehrveranstaltungen präzise und gut vorbereitet und war insgesamt auf dem Weg, meinen Vertrag zu verlängern. Diese wohlgeordnete und kirchenmausarme Existenz wurde nur durch zwei Gespräche mit der Polizei unterbrochen, bei denen ich jedoch nur als Zeuge und Helfer fungierte.
    Der arme Lawrentje Schatow, den das Erbe seines Vaters das Leben gekostet hatte,
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