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Arme Milliardäre!: Der große Bluff oder Wie die amerikanische Rechte aus der Krise Kapital schlägt

Arme Milliardäre!: Der große Bluff oder Wie die amerikanische Rechte aus der Krise Kapital schlägt

Titel: Arme Milliardäre!: Der große Bluff oder Wie die amerikanische Rechte aus der Krise Kapital schlägt
Autoren: Thomas Frank
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1944 schilderte der ungarische Historiker Karl Polanyi, was geschieht, wenn Theoretiker und Träumer versuchen, »die Idee eines selbst regulierenden Marktes« Wirklichkeit werden zu lassen, die er »eine krasse Utopie« nannte. »Wenn man die Marktmechanismen als ausschließlichen Lenker des Schicksals der Menschen und ihrer natürlichen Umwelt … zuließe, dann würde dies zur Zerstörung der Gesellschaft führen«, schrieb er in einer viel zitierten Passage.
    Menschen, die man … des Schutzmantels der kulturspezifischen Institutionen beraubte, würden an den Folgen gesellschaftlichen Ausgesetztseins zugrunde gehen; sie würden als die Opfer akuter gesellschaftlicher Zersetzung durch Laster, Perversion, Verbrechen und Hunger sterben. Die Natur würde auf ihre Elemente reduziert werden, die Nachbarschaften und Landschaften verschmutzt, die Flüsse vergiftet, die militärische Sicherheit gefährdet und die Fähigkeit zur Produktion von Nahrungsmitteln und Rohstoffen zerstört werden. [1]
    Als Polanyi dies schrieb, hatte die Welt aufgrund der Erfahrungen mit einer Depression gerade dem tödlichen Traum vom freien Markt abgeschworen. Die Gesellschaft unternahm, so sah es Polanyi, ganz instinktiv in regelmäßigen Abständen immer wieder Versuche, sich gegen die verheerenden Konsequenzen der Marktwirtschaft zu schützen. Jahrzehntelang war man davon überzeugt, dass dies ein natürliches Verhaltensmuster sei. Nach jeder Wirtschaftskrise kommt ein New Deal, so dachte man.
    Diesmal jedoch zeigte sich ein neues Verhaltensmuster. Nachdem der Markt die amerikanische Gesellschaft genau so gebeutelt hatte, wie Polanyi es beschrieb – und noch ein paar Extra-Möglichkeiten dazu gefunden hatte, auf die weder er noch sonst jemand bisher gekommen war –, flehte die Gesellschaft nun geradezu, noch mehr durchgeprügelt zu werden. Die einflussreichste Protestbewegung der USA verlangte, die Laufschuhe zu schnüren und noch energischer der Utopie des freien Marktes hinterherzusprinten. Sie riefen: »Nieder mit den Schwachen!« – statt sie weiter zu hätscheln. [2]
    Anfang 2011 fand der Song über das Leben in schweren Zeiten aber doch noch ein angemessenes Echo. Im Februar versammelten sich Menschenmassen in Madison, um gegen die Art und Weise zu protestieren, in der die frisch ins Amt gewählte rechte Regierung von Wisconsin dem Arbeitsrecht den Krieg erklärte. Hier sah sich der billige Populismus endlich einmal mit der Realität konfrontiert – und erschien auf einmal ganz klein. An einem verschneiten Wochenende wurde eine hochkarätige Delegation konservativer Aktivisten nach Madison eingeflogen, um den protestierenden Arbeitnehmern entgegenzutreten. Andrew Breitbart erinnerte die Welt in seiner bärbeißigen Art daran, wie sehr die Tea Party von den führenden Medien beschimpft und gedemütigt werde. Selten hat sich die Bewegung mit ihrem deplatzierten Opferkomplex so lächerlich gemacht.
    Im September 2011 schließlich, fast drei Jahre nach dem Zusammenbruch von Lehman Brothers, begann im Zuccotti Park von New York eine neue Bewegung:
Occupy Wall Street.
Eine wachsende Menschenmenge harrte dort wochenlang aus und bahnte sich so einen Weg ins Bewusstsein der Nation. Obwohl in ihren Protesten auch einiges an Naivität zum Ausdruck kam – die Erzählungen aus erster Hand zur Wirtschaftskrise, die die Demonstranten online unter der Rubrik »Ich bin die neunundneunzig Prozent« sammelten, offenbarten unleugbar große Kraft und Schärfe.
    Die Occupy-Bewegung brachte ganz nebenbei einen wichtigen Punkt in die Debatte ein: Zumindest eine Zeit lang brach sie das Monopol auf den Protest gegen die Folgen der Wirtschaftskrise, das dieRechte innehatte, seit Rick Santelli im Februar 2009 seine Stimme für die bedrängten Börsenmakler erhoben hatte. Das Auftreten der Occupy-Bewegung allein genügte, um erkennbar zu machen, wie schrill und wirr der Protest der vergangenen Jahre gewesen war, und zeigte, dass es auch anders ging.
    Es war unübersehbar, dass die Öffentlichkeit neue Wege suchte, über Einkommensverteilung und Wirtschaftsfragen zu reden. Die Rechte machte in ihrer in sich abgeschlossenen Welt unterdessen weiter, als ob ihre verquere Sicht der Dinge Allgemeingültigkeit beanspruchen könne. Anhänger der Tea Party verstärkten die Teams von Kongressabgeordneten, und Organisationen der Tea Party formierten sich als Super Pacs, um Lobbyarbeit zu betreiben und mit Beginn des Wahljahrs ihre Überzeugungsarbeit in Funk und
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