Bücher online kostenlos Kostenlos Online Lesen
Die weissen Feuer von Hongkong

Die weissen Feuer von Hongkong

Titel: Die weissen Feuer von Hongkong
Autoren: Harry Thürk
Vom Netzwerk:
----
     
     
     
     
     
     
    Die Frau war schlank, beinahe zierlich. Sie trug an jenem Abend auf dem zugigen Bahnhof einer großen Stadt einen Flauschmantel und ein lustiges Mützchen, das ihre rotgefrorenen Ohren sehen ließ. Sie umarmte einen jungen Burschen, wie es Mütter überall in der Welt auf Bahnsteigen tun. Sie küßte ihn, bevor er in den anrollenden Zug sprang, und rief ihm ein paar chinesische Abschiedsworte zu. Das war es, was mich veranlaßte, sie genauer anzusehen. Ich entdeckte den schrägen Schnitt ihrer Augen, die kaum gekrümmten Unterliderund die ganz leicht hervortretenden Backenknochen.
    Sie reagierte scheu, als ich sie ansprach; aber nachdem sie den Grund meiner Neugier kannte, schwand ihre Zurückhaltung. Bei einer Tasse Kaffee in dem schmuddeligen, ungastlichen Bahnhofsrestaurant sprachen wir fast eine Stunde lang über Schanghai und Kanton, den Yangtse und Peking, über Hongkong und den Perlfluß. Danach blickte sie erschrocken auf die Uhr und merkte, daß sie sich verplaudert hatte. Sie nahm mir das Versprechen ab, sie und ihren Mann zu besuchen, der in einem Werk für schwere Motoren arbeitete. Dann würde ich auch die Schwester jenes zur Universität fahrenden jungen Burschen sehen, ihr erstes Kind, das zweite ihres Mannes.
    Als ich mein Versprechen einlöste, hörte ich eine der interessantesten Lebensgeschichten, von denen ich bisher erfahren hatte. Ich schrieb sie mit den Abwandlungen nieder, die mir notwendig erschienen, und ich änderte die Namen der Beteiligten.
    Hin und wieder besuche ich den Mann, den ich hier Fred Kolberg nenne. Dann tauschen wir bei einer Flasche Wein unsere Gedanken aus, während seine Frau uns lächelnd zu hört. Und zu dritt sprechen wir über die großen Städte des Ostens, die Neondschungel, in denen Lüge und Laster nebeneinander wohnen, Hoffnung und Verzweiflung, Zufriedenheit und Gier. In Gedanken schweifen wir durch stinkende Gassen und lichte Bambushaine, sehen Reisfelder und Palmenküsten vor uns, fahren auf Booten die großen Ströme hinab bis zu den lärmenden Häfen, zu den Kais, von denen die weißen Schiffe auslaufen, den Ruf ihrer Sirenen zurückschickend zum Land, jenen schmerzhaft schönen Schrei, der das Heimweh weckt und das Fernweh, eines wie das andere.
    Manchmal sind wir dann lange Zeit still. Und jeder sinnt darüber nach, ob die Erinnerung wohl ein Paradies ist, aus dem man nicht vertrieben werden kann, oder eine Hölle, der entflohen zu sein man glücklich ist.
     

 
     
    I
     
    EINE HANDVOLL ROSENQUARZ
     
    Die Stimme aus dem Kopfhörer klang blechern, krächzend. Es war die Stimme des Einweisers von Don Muang, dem Flughafen von Bangkok. » Ihr Kurs stimmt. Sie haben noch hundert Meter zuviel Höhe.«
    Die Lichter der Stadt glitten unter der Skymaster dahin, gelb und grün, neonweiß und brandrot wie die glimmende Asche der Kochfeuer. Von hier oben sah das aus wie ein plötzlich zu völliger Bewegungslosigkeit erstarrtes Laternenfest. Man ahnte die Menschen, die sich dort unten bewegten, wo geschwungene Perlenketten von Lampen die Umrisse der Straßen andeuteten. Man meinte den Lärm zu hören, das Geschnatter tausender Stimmen, das Gebimmel der Samlors, die Gongs und das Geschrei der Händler. Es schien, als wären die vielerlei Gerüche von Curry und Fisch, Zimt und Räucherstäbchen, Kampferholz und Schweiß bereits jetzt wahrnehmbar: Asien. Es lärmte und duftete, lachte aus schmalen Augen und schlief auf Matten an den Straßenrändern, es hämmerte und sang, bot tausend verlockende Früchte an und opferte seinen Göttern wertloses Papiergeld. Es verkroch sich vor dem Monsun und zeugte Legionen von braunen; lustigen Kindern, es kaute Betelnüsse und aß meist nur einmal am Tag, starb und verging doch nicht. Die Winde brachten den Regen, und auf den schlammigen Feldern gedieh der Reis. Einmal wird es zwei Mahlzeiten am Tag geben oder sogar drei. Mehr Lichter und Salbe für die Geschwüre und klares Wasser aus langen Rohren wird es geben, und Kattun für bunte Kleider, wie sie jetzt nur die Huren tragen oder die Frauen der Weißen. Einmal. Ob das noch fern ist?
    Don Muang lag am Rande von Bangkok. Fred Kolberg wußte genau, daß er die Maschine jetzt noch nicht drücken d urfte, weil da unten die Pagoden standen mit ihren hohen Spitzen. Außerdem stotterte der Steuerbordmotor. Er konnte jeden Augenblick wieder aussetzen.
    »Landebahn sechzehn«, quäkte die Stimme des Einweisers erneut. »Eins-sechs . Kurs in Ordnung. Höhe
Vom Netzwerk:

Weitere Kostenlose Bücher