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Arkadien 01 - Arkadien erwacht

Titel: Arkadien 01 - Arkadien erwacht
Autoren: Kai Meyer
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Kapellenpforte. Rosa war nur ein einziges Mal zuvor hier gewesen, als Zoe sie zum Grab ihres Vaters geführt hatte. Am Morgen hatte sie erneut einen Blick darauf geworfen. Davide Alcantara stand dort eingemeißelt in die Steinplatte, kein Geburtsdatum, kein Todestag.
    In der Luft hing der süße Geruch von Lavendel und Ginster, vermischt mit dem Duft zahlloser Blumengestecke. Die meisten waren bereits am frühen Morgen angeliefert worden, Mitarbeiter eines Bestattungsunternehmens hatten die Gruft und das Portal damit dekoriert.
    Aus einer der letzten Limousinen, die vor dem Palazzo hielten, stieg Alessandro.
    Er trug einen eng geschnittenen schwarzen Anzug und eine Sonnenbrille. Sein Haar war kürzer. Er kam ihr erwachsener vor.
    Im Gegensatz zu den übrigen capi der Clans kam Alessandro allein. Keine Leibwächter begleiteten ihn auf dem Wegvom Vorplatz zur Kapelle. Er grüßte niemanden, blieb am entfernten Ende der Menschenkette stehen, nahm die Sonnenbrille ab und schaute zu Rosa herüber. Aus der Ferne konnte sie seinen Gesichtsausdruck nicht deuten.
    Sie hatte geglaubt, gewappnet zu sein, als sie seinen Blick kreuzte; hatte angenommen, dass die Trauer um Zoe sie so sehr beschäftigen würde, dass seine Anwesenheit keine Rolle spielte. Aber als sie ihn nun wieder sah, zum ersten Mal seit den Ereignissen am Monument, traf sie sein Anblick wie ein Stromschlag.
    Iole berührte ihre Hand und schenkte ihr ein zartes Lächeln. Sie hatte in den vergangenen Tagen eine erstaunliche Wandlung durchgemacht. Sie wirkte gereift, nicht mehr so kindlich-zerzaust wie bei ihrer ersten Begegnung auf der Isola Luna, und zog die neugierigen Blicke vieler Trauergäste auf sich.
    Rosa hatte ihre blonde Hexenmähne zu einem Pferdeschwanz gebunden und sich von den Frauen aus dem Dorf einige von Zoes Kleidern anpassen lassen. Das schwarze Kostüm, das sie für diesen Tag ausgewählt hatte, verlieh ihr einen Anschein von Geschäftsmäßigkeit, so dass sie sich im Spiegel wie eine Fremde erschienen war. Sie vermisste schon jetzt die Schuhe mit den Metallkappen.
    Drei Tage zuvor hatte sie ihre Mutter in New York angerufen und ihr die Nachricht von Zoes Tod überbracht. Gemma hatte ihre Erwartungen nicht enttäuscht: Nach aufrichtigem Schock und lautstarker Trauer hatte sie Rosas Angebot abgelehnt, ihr Flugtickets zuzuschicken. Nicht einmal die Beisetzung ihrer Tochter konnte sie dazu bewegen, noch einmal einen Fuß auf diese Insel zu setzen. Rosa machte keinen Versuch, sie zu überreden. Sie versprach ihr, sich wieder zu melden, wenn alles vorüber wäre, entschied aber im Stillen, dass es ein für alle Mal genug war. Wenn ihre Mutter den Kontakt nicht suchte, würde auch sie es nicht tun.
    Die Trauerfeier selbst erlebte sie wie ein bizarres Theaterstück; irgendwer hatte sie auf die Bühne geschubst, damit sie die Hauptrolle übernahm. Sie war froh, als es endlich vorüber war. Noch war sie nicht sicher, wie sie mit Zoes Tod umgehen würde. Die Tränen der vergangenen Tage, jetzt dieses Ritual, dem sie nichts abgewinnen konnte – das durfte nicht alles sein. Aber auf was sie auch wartete, es trat nicht ein. Als wäre ihr Vorrat an Trauer während des vergangenen Jahres endgültig zur Neige gegangen.
    Vorn am Eingang warteten die Männer und Frauen, um Rosa ihr Beileid auszusprechen. Sie verließ die Kapelle, ohne jemanden eines Blickes zu würdigen. Diese Menschen hatten Florinda und Zoe gehasst. Ihre Ehrenbezeugungen nicht anzunehmen war für die capi wie ein Schlag ins Gesicht. Sie wusste das. Es interessierte sie nicht.
    Aufrecht schritt sie an den Reihen der Gäste entlang und hielt schließlich auf den einen zu, der noch immer ganz am Ende der Menschenschlange stand und ihr entgegenblickte.
    »Komm«, sagte sie, »gehen wir ein Stück.«
    Die Sonne schien flirrend durch knorrige Zweige, als sie in den Schutz der Olivenhaine traten. Lichtflecken huschten über ihre Körper, umschlangen sie wie glühende Ranken, ließen sie beim nächsten Schritt wieder los.
    »Ich war ein paarmal bei Fundling im Krankenhaus«, sagte er. »Ich hatte gehofft, du wärst auch dort.«
    »Du hättest einfach anrufen können.«
    »Vielleicht, ja.«
    »Du bist jetzt, was du immer sein wolltest«, sagte sie, ohne ihn anzusehen. »Der capo der Carnevares. Fühlt es sich an, wie du es dir vorgestellt hast?«
    Er seufzte leise. »Die Aufzeichnungen meiner Mutter haben sie davon überzeugt, dass Cesare die Familie hintergangen hat. Aber das heißt nicht, dass sie
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