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Arkadien 01 - Arkadien erwacht

Titel: Arkadien 01 - Arkadien erwacht
Autoren: Kai Meyer
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hellblondes Haar war noch verwuschelter als sonst; es hing ihr weit ins Gesicht und verdeckte die äußeren Augenwinkel. Ihr Minikleid hatte einmal Zoe gehört und war Rosa zu groß, der Saum reichte bis zu den Knien. Der Blick des Verkäufers glitt daran hinab zu ihren dünnen Beinen in den schwarzenStrumpfhosen. Sie endeten in klobigen Schuhen mit Metallkappen, die sie eng um die Knöchel geschnürt hatte. Wenn sie zutreten musste, wollte sie nicht, dass sie abfielen. Wie peinlich wäre das .
    »Willkommen in Italien, Signorina«, sagte er in akzentschwerem Englisch. Er trug eine Mütze, die aussah wie ein Papierschiffchen, und weiß-rote Kleidung. Sie verstand nicht, warum lächerliche Hüte jemanden dazu verführen sollten, mehr Schokolade zu kaufen, aber irgendwer musste sich darüber Gedanken gemacht haben.
    »Ciao. Den da bitte.« Sie suchte einen Riegel aus, den letzten dieser Sorte, und bemerkte, dass der schwarze Nagellack auf ihrem Zeigefinger abgesplittert war. Sie schob rasch den Mittelfinger darüber, aber der sah nicht viel besser aus. Offenbar hatte sie im Schlaf wieder an etwas gekratzt.
    Der Verkäufer hatte ein nettes Gesicht und seine Freundlichkeit hatte nichts Zudringliches. Er bückte sich, um einen neuen Riegel hinter der Theke hervorzufischen. Sie nutzte es aus, um unbemerkt vier andere in die Jackentasche zu stopfen. Dann bezahlte sie den einen, den er ihr hinhielt, schenkte ihm ein Lächeln und ging zurück zu ihrem Platz zwischen den überfüllten Stuhlreihen.
    Eines der dicken Touristenkinder saß darauf und grinste sie herausfordernd an. Sie wünschte sich den Tacker herbei, sagte aber nichts und suchte sich ein freies Stück am Boden unter dem Fenster. Sie legte sich mit angezogenen Knien auf ihre Jacke, zupfte ihr Kleid zurecht, schob sich die schwarze Reisetasche unter den Kopf und schloss die Augen.
    Als sie erwachte, war es hell und die Schokolade unter ihrem Körper geschmolzen. Sie warf alle Riegel ungeöffnet fort, den bezahlten und die vier gestohlenen. Der Junge auf ihrem Platz sah fassungslos zu, wie die Süßigkeiten im Abfall verschwanden. Der Verkäufer winkte ihr zu, als sie an ihm vorüberging. »Schöner Hut«, sagte sie.
    Bei der Kontrolle am Gate sprach eine Stewardess sie an. Norditalienerin, dem Dialekt nach.
    »Rosa Alcantara?« Die Frau war zu stark geschminkt und sah aus, als würde sie sich nach einer Notlandung als Erste in Sicherheit bringen, um ihr Deo aufzufrischen.
    Rosa nickte. »Das ist der Name, der da draufsteht, oder?«
    Die Stewardess blickte auf das Ticket, tippte etwas in einen Computer und sah Rosa mit gerunzelter Stirn an.
    »Ich war’s nicht«, sagte Rosa.
    Die Runzeln vertieften sich.
    »Die Granaten in meinem Koffer. Muss mir einer untergeschoben haben.«
    »Nicht witzig.«
    Rosa zuckte gleichgültig die Achseln.
    »Wir haben Sie ausrufen lassen. Über Lautsprecher.«
    »Ich hab geschlafen.«
    Die Stewardess schien zu überlegen, ob Rosa wohl Drogen nahm. Hinter ihr in der Schlange plärrte ein Kind. Jemand murrte ungeduldig. Eine zweite Flugbegleiterin schleuste die übrigen Passagiere an Rosa vorbei. Alle starrten sie an, als hätte man sie bei dem Versuch ertappt, die Maschine zu kapern.
    »Also?«, fragte Rosa.
    »Ihr Koffer –«
    »Ich sag’s doch.«
    »– ist versehentlich beschädigt worden. Beim Transport. Schwer beschädigt.«
    Rosa blinzelte. »Kann ich Ihren Laden dafür verklagen?«
    »Nein. Das steht in den Geschäftsbedingungen.«
    »Ich komme also ohne saubere Sachen in Sizilien an?« Und ohne Musik. Nur mit My Death .
    »Die Gesellschaft bedauert den Verlust –«
    So siehst du aus.
    »– und er wird Ihnen selbstverständlich erstattet.«
    »Ich hatte wahnsinnig teure Klamotten.« Sie strich überdas alte Kleid ihrer Schwester, das sie seit zwei Jahren auftrug.
    Die Stewardess verzog den Mund, ihr Kinn verschrumpelte. Es sah aus wie ein Pfirsichkern. »Wir haben Experten, die das feststellen können.« Und fast genüsslich fügte sie hinzu: »Anhand der Überreste.« Sie händigte Rosa ein Formular aus. »Rufen Sie die Nummer an, die daraufsteht, dann wird man Ihnen weiterhelfen. Unten können Sie Angaben zum Inhalt des Gepäckstücks machen.«
    »Darf ich jetzt ins Flugzeug?«
    »Natürlich.«
    Als die Frau ihr die Bordkarte zurückgab, streiften Rosas Finger ihr Handgelenk. »Danke.«
    Unten im Bus, eingezwängt zwischen anderen Passagieren, öffnete sie die Hand. Darin lag ein goldener Armreif. Rosa steckte ihn einer
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