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Arkadien 01 - Arkadien erwacht

Titel: Arkadien 01 - Arkadien erwacht
Autoren: Kai Meyer
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breiteten sich über das Gesicht ihrer Schwester. Ihre Augen waren geschlossen. Ein Blutrinnsal in ihrem Mundwinkel war brüchig geworden, rote Schuppen rieselten über ihren weißen Hals ins Haar.
    Mit zitternden Händen suchte Rosa nach Zoes Puls. Sie fand ihn nicht.
    Sie warf den Kopf in den Nacken und stieß einen gequälten Schrei aus. Sein Echo hallte durch die Schlucht wie ein Geisterchor aus den antiken Grabhöhlen in den Felsen.
    Ihre Finger bebten zu sehr, um den Pulsschlag zu ertasten. Es lag an ihr, nicht an Zoe. Hektisch versuchte sie es erneut. Am Hals. Am linken Handgelenk. Dann am rechten. Zoes Haut war kalt und weiß.
    Tief in ihren Gedanken rührten sich Zweifel, fast betäubt vom Schmerz und von der Verzweiflung: Hier war nirgends ein Handy. Zoe hatte ihr keine SMS geschickt!
    »Guten Tag, Rosa.«
    Sie war überrascht und war es doch nicht.
    Zwischen den Gesteinstrümmern am Rand der Autobahn trat Salvatore Pantaleone hervor. Der weiße Pferdeschwanz des alten Mannes wurde über seine Schulter gewirbelt. Seine Augenklappe ähnelte einem schwarzen Loch in seinem Gesicht, das den Blick viel stärker anzog als sein gesundes Auge. Rosa sah ihn zum ersten Mal bei Tag und er erschien ihr jetzt grauer, gramgebeugt und erschöpft.
    In der rechten Hand hielt er Zoes Handy.
    »Ich habe dazugelernt«, sagte er, blickte das kleine Gerät an, als wäre er über sich selbst erstaunt, und zuckte nach einem Moment die Achseln. Er holte aus und schleuderte es mit beachtlicher Kraft hinaus in den Abgrund.
    »Sie waren das.«
    »Es war nötig, dass wir uns irgendwo treffen, wo du mir nicht deine neue Freundin, diese Richterin, auf den Hals hetzt.«
    Sie hatte eine Hand unter Zoes Hinterkopf geschoben und hielt ihn noch immer über dem Asphalt. Nun legte sie ihn sanft wieder ab, streichelte mit links über Zoes Wange und kämpfte gegen ihre Trauer an.
    Aber ihr Körper wollte ihr nicht gehorchen, er war wie losgelöst von ihrem Verstand. Sie hatte das Gefühl, sich selbst zu beobachten, und musste sich zwingen, ihre Aufmerksamkeit wieder auf ihn zu richten.
    »Haben Sie Zoe getötet?«
    »Ich hab’s für dich getan. Es war nötig und das bedauere ich.«
    Rosa spürte Erbrochenes in der Kehle und würgte es hinunter. »Wo ist Florinda?«
    »Nicht hier.«
    »Ist sie auch tot?«
    »Du bist jetzt das neue Oberhaupt der Alcantaras. So wie ich es dir vorausgesagt habe. Wir werden gut zusammenarbeiten, du und ich. Vielleicht dauert es ein wenig, bis wir uns aneinander gewöhnt haben, aber dann …«
    Jedes Wort, jedes Atemholen war ein Kampf. »Sie wissen, dass ich Sie an die Richterin verraten habe. Und trotzdem wollen Sie, dass ich Ihnen helfe?«
    Er nickte. »Erst einmal helfe ich dir. Du wirst Hilfe nötig haben. Du bist erst siebzehn, Rosa. Florindas Berater und Geschäftsführer werden bald wie die Schmeißfliegen über dich herfallen und versuchen, dich für ihre Zwecke zu missbrauchen. Einen oder zwei mag es geben, denen man trauen kann, aber der Rest ist ein Haufen Bluthunde ohne Gewissen.«
    »Sie haben das perfekt in die Wege geleitet. Das alles.«
    Der alte Mann kam näher und schüttelte den Kopf. »Vieles von dem, was Cesare Carnevare getan hat, hat sich im Nachhinein als nützlich erwiesen. Aber das hatte nichts mit mir zu tun. Ich habe nur meine Chance ergriffen, als sie sich bot. Dass Remeo dort war und tun konnte, was er getan hat … nun, manchmal gehört zum Geschäft auch eine Portion Glück.«
    »Zoe und Florinda … sind sie überhaupt bei diesem Tribunal gewesen? Oder waren sie schon … anderswo, als wir uns im Palazzo begegnet sind?«
    »Eine Leiche, die seit Stunden tot ist, fühlt sich andersan, mein Kind. Natürlich waren sie dort.« Mit einem Nicken deutete er auf die leblose Zoe. »Ich habe deine Schwester gemocht. Eine Zeit lang dachte ich, sie könnte vielleicht diejenige sein … Aber sie hat nicht deinen Biss, deine Härte, deine Entschlossenheit. Und dann diese Geschichte mit dem anderen Mädchen. Bedauerlich.«
    Sie musste sich zwingen, weiter Fragen zu stellen, während sie nach einer Möglichkeit suchte, ihn zu töten. Hier und jetzt, auch ohne Waffe. Langsam richtete sie sich auf, bis sie sich rechts und links von Zoes Leiche gegenüberstanden.
    »Und Florinda? Was hat Ihnen an ihr nicht mehr gepasst?«
    »Ihre Bitterkeit. Ihre unkontrollierbare Wut. Die Art und Weise, wie sie manche Geschäfte, sagen wir: emotional bewertet und dabei zunichtegemacht hat. Dein Vater hätte die
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