Bücher online kostenlos Kostenlos Online Lesen

Arkadien 01 - Arkadien erwacht

Titel: Arkadien 01 - Arkadien erwacht
Autoren: Kai Meyer
Vom Netzwerk:
gebrochenen Rippen sticht durch die faltige Brust, weil die Haut des Menschen nicht dehnbar genug ist für den gesplitterten Knochen. Die Zunge weicht zurück zwischen gesprungene Lippen, die gelblichen Hauer verschwinden und sind bald darauf nicht mehr zu sehen.
    Nun beginnt auch die Verwandlung der Schlange. Ihr Leib verkürzt sich, verdickt sich an manchen Stellen, wird an anderen schmaler. Die Augen ändern ihre Form, das gletscherhelle Blau zieht sich zusammen. Die Enden der Zunge verwachsen miteinander, die Fangzähne verschwinden. Zuletzt teilt sich die Schuppenhaut am Kopf in Stränge, die sich mit aberwitziger Geschwindigkeit weiter aufspalten, erst zu Strähnen, dann zu einzelnen Haaren. Bald liegt eine wilde blonde Mähne um den Kopf des Mädchens, das gerade noch eine Schlange war. Nichts erinnert mehr an das Reptil, nur getrocknete Schuppen auf dem Asphalt.
    Rosa erwacht und blinzelt ins Tageslicht. Nackt und kraftlos kriecht sie von Pantaleones Leichnam fort, findet das Handy, drückt mit bebenden Fingern einen Knopf.
    »Quattrini«, flüstert sie, ohne das Gerät an den Mund zu heben. »Sie können den alten Mann jetzt haben.«
    s
    Das Leben verließ Zoe in einem einzigen langen Atemzug. Rosa kniete am Boden, hatte Kopf und Schultern ihrer Schwester in den Schoß gebettet und streichelte sanft ihr langes Haar. Zoes Blick suchte ihren, aber ihren Augen war anzusehen, dass sie die Umgebung kaum noch wahrnahmen.
    »Waren wir es?«, brachte Zoe röchelnd hervor.
    »Nicht sprechen. Bald kommt Hilfe.«
    »Sind wir es … gewesen?«
    Rosa sah eine ihrer Tränen wie in Zeitlupe auf Zoes Wange zerspringen. »Ich weiß nicht, was du meinst.«
    »Sind wir … die Verräter?«
    »Ich bin zu einer Richterin gegangen. Ich habe das Gesetz des Schweigens gebrochen.«
    »Nicht das.« Zoes Lippen zitterten. »TABULA«, wisperte sie.
    Rosas Erinnerung lag hinter einem Wall aus Schmerz und Trauer. Und doch rührte sich da etwas, ganz sachte. Eine der Familien hatte die Arkadischen Dynastien an TABULA verraten; die Alcantaras, hatte Cesare behauptet.
    »Es könnte jeder gewesen sein, vielleicht sogar die Carnevares.« Sie hörte sich reden; es bewahrte sie davor, auf der Stelle den Verstand zu verlieren.
    Zoe hustete Blut. »Du musst es … herausfinden.«
    »Warum?«
    »Wegen …« Sie brach ab und röchelte leise, während sich ihre Gesichtsmuskeln entspannten. »Wegen Dad«, flüsterte sie.
    Rosa schüttelte den Kopf. »Du musst jetzt –«
    »Wegen Dad , Rosa! Wegen ihm und TABULA.«
    Dann lächelte Zoe und starb.

Eine Nachricht
    R und um Fundlings Krankenbett surrten lebenserhaltende Maschinen. Sein Kopf war bandagiert und wurde von weißen Polstern gestützt, damit er nicht zur Seite kippte. Jemand hatte sein schwarzes Haar abrasiert. Seine Lider waren geschlossen, aber darunter bewegten sich die Augen in fieberhaftem Zucken.
    Iole hatte ihm ein Foto von Sarcasmo auf den Nachttisch gestellt. Der Hund schien zu lachen, seine Augen leuchteten. Iole und der schwarze Mischling waren völlig vernarrt ineinander. Bei ihrem Einzug in den Palazzo Alcantara hatte sie ihn kurzerhand in ihrem Zimmer einquartiert und verließ das Haus nicht mehr ohne ihn.
    An diesem Nachmittag, fünf Tage nach Zoes Tod, war Rosa die einzige Besucherin in Fundlings Zimmer. Sie saß in einem schwarzen Mantel aus dem Kleiderschrank ihrer Schwester neben ihm. Draußen im Park der Klinik schüttelte der Sturm die hohen Eichen. Im Koma hatte sich Fundlings Zustand stabilisiert, doch ob er wieder erwachen würde, konnte niemand voraussagen.
    »Du weißt es, nicht wahr?« Sie sah nicht ihn an, nur die Bäume vor dem Fenster. »Von Anfang an hast du mehr gewusst als die meisten anderen. Über TABULA und diese … Löcher in der Menge. Über den Hungrigen Mann. Und über die Gesetze Arkadiens.«
    Sie stand auf und beugte sich über ihn, ganz nah an sein Gesicht.
    »Woher kommst du wirklich? Und was hattest du als Kind allein in diesem Hotel zu suchen, das die Carnevares niedergebrannt haben?« Sie berührte mit der Fingerspitze ihre Lippen, dann seine Stirn. »Irgendwann wirst du mir die Wahrheit verraten. Irgendwann wirst du mir alles erzählen.«
    s
    Draußen auf dem Korridor begegnete sie der Richterin.
    Quattrini hatte dafür gesorgt, dass kein Verfahren gegen Rosa eröffnet wurde. Pantaleones Tod war ein Rückschlag gewesen, weil sie sich von seiner Verhaftung einiges erhofft hatte: Aussagen über die weitverzweigten Geschäfte der Cosa
Vom Netzwerk:

Weitere Kostenlose Bücher