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Aristoteles: Grundwissen Philosophie

Aristoteles: Grundwissen Philosophie

Titel: Aristoteles: Grundwissen Philosophie
Autoren: Wolfgang Detel
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Phästis und des Nikomachos. Solche notwendigen Eigenschaften nannte Aristoteles essenziell, und daher lässt sich die Theorie der starren Referenz als [135] essenzialistischer Realismus beschreiben. Essenzen im Sinne notwendiger Eigenschaften kommen faktisch in der Welt vor.
    Aber es sind nach Kripke nicht nur Eigennamen, die starr referieren, sondern auch Ausdrücke wie »Mensch«, »Katze« oder »Wasser«, also Ausdrücke für natürliche Arten. In traditioneller empiristischer Sichtweise sind solche Ausdrücke Abkürzungen von empirischen Merkmalsbündeln (zuweilen auch »Stereotypen« genannt), die auch die Referenz festlegen. Für Kripke ist dagegen klar, dass keines dieser Merkmale wirklich notwendig ist. Vierbeinigkeit z. B. wäre den Empiristen zufolge ein typisches Merkmal für Tiger – aber ein Tiger, der unglücklicherweise eines seiner Beine eingebüßt hat, bleibt ein Tiger. Wasser ist gewöhnlich farblos – aber bleibt nicht auch gefärbtes Wasser Wasser? Und zwar in dem Sinne, dass es H 2 O bleibt. Im Falle natürlicher Arten denken wir, dass ihre Exemplare eine bestimmte Mikrostruktur teilen: Tiger teilen den für Tiger charakteristischen genetischen Code, und Wasser hat immer die Struktur H 2 O (wenn es nicht z. B. schweres Wasser ist). Das verhält sich hingegen im Falle aller roten Dinge ganz anders: Sie teilen mitnichten dieselbe Mikrostruktur; die Ausdrücke »rot« oder »Röte« sind keine Terme für natürliche Arten. Wenn A ein Ausdruck für eine natürliche Art ist und M die Mikrostruktur dieser natürlichen Art ist, dann ist A notwendigerweise oder in allen möglichen Welten M; Wasser ist z. B. notwendigerweise H 2 O. Wir verwenden diese Ausdrücke einfach nicht so, dass Wasser zwar in unserer Welt H 2 O ist, dass aber unsere Welt auch so hätte aussehen können, dass es in ihr Wasser gibt, das nicht zugleich H 2 O ist. Ausdrücke für natürliche Arten sind demnach ebenfalls starre Designatoren. Nach der Standardlogik sind sie einfach Prädikatoren, also Allgemeinbegriffe, die strikt von Nominatoren zu unterscheiden sind. Nach der Theorie der starren Referenz verhalten sie sich in vielerlei Hinsicht eher wie Eigennamen.
    Dieser Punkt wird auch von Hilary Putnam herausgearbeitet, der die Theorie der starren Referenz unabhängig von Kripke [136] entwickelt hat. Dabei weist Putnam darauf hin, dass die beiden Kernthesen der klassischen Semantik nicht zugleich richtig sein können. Diese subjektphilosophischen Kernthesen besagen, dass die Kenntnis von Bedeutungen darin besteht, in einem bestimmten psychischen Zustand zu sein, und dass die Intension die Extension bestimmt. Das bedeutet, dass mentale Gegenstände und Vorstellungsbilder einen intrinsischen Bezug auf die Welt haben sollen, dass sie gleichsam von sich aus auf die Welt verweisen. Die psychischen Zustände einer Person setzen die Existenz dieser Person voraus und legen außerdem die Extensionen der von ihr verstandenen sprachlichen Ausdrücke fest. Dieses Bild ist es, das Putnam heftig angreift, u. a. mithilfe eines Gedankenexperimentes, das mittlerweile zum festen Bestandteil moderner semantischer Debatten geworden ist: das Gedankenexperiment von der Zwillingserde.
    Stellen wir uns vor, es gäbe irgendwo im Universum einen Planeten, der bis auf kleine Unterschiede so wie die Erde ist, und zwar im Wesentlichen Molekül für Molekül. Alle Erdbewohner haben ihre Doppelgänger auf der Zwillingserde, die genau dieselben Sprachen sprechen wie ihre Widerparts auf der Erde. Einer der kleinen Unterschiede zwischen Erde und Zwillingserde ist der folgende: Auf der Zwillingserde gibt es eine Flüssigkeit, die man dort »Wasser« nennt und die dieselben empirischen Merkmale hat wie Wasser auf der Erde: Es schmeckt so und sieht so aus und hat dieselben empirischen Effekte auf Mensch und Tier wie das Erdwasser. Aber das Wasser auf der Zwillingserde ist nicht H 2 O, sondern hat eine andere komplizierte Mikrostruktur, die wir der Einfachheit halber mit XYZ notieren. Wasser auf der Zwillingserde ist also nicht H 2 O, sondern XYZ. Nennen wir das Wasser auf der Erde E-Wasser, das Wasser auf der Zwillingserde Z-Wasser, so ist offenbar E-Wasser kein Z-Wasser und Z-Wasser kein E-Wasser. Chemiker auf Erde und Zwillingserde würden das sofort sehen, denn E-Wasser referiert auf H 2 O-Gesamtheiten, Z-Wasser dagegen auf XYZ-Gesamtheiten.
    [137] Aber es gibt auf Erde und Zwillingserde Menschen, die noch nie etwas von Chemie gehört haben. Und vor 200 Jahren
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