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Aristoteles: Grundwissen Philosophie

Aristoteles: Grundwissen Philosophie

Titel: Aristoteles: Grundwissen Philosophie
Autoren: Wolfgang Detel
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Welt darin übereinstimmt, dass B wahr ist, auch B* wahr ist. In jeder möglichen Welt, die mit unserer Welt beispielsweise darin übereinstimmt, dass die Beschreibung »Dieses Tier ist eine Katze« wahr ist, ist auch die Beschreibung »Dieses Tier ist ein Lebewesen« wahr. Damit wird gesagt, dass Katzen notwendigerweise Lebewesen sind.
    Diese Idee lässt sich theoretisch dadurch anreichern, dass die Stereotypen als A-Extensionen von den Mikrostrukturen als C-Extensionen unterschieden werden. Eine alte Idee der klassischen Semantik z. B. bei Rudolf Carnap (1891–1970) war zu sagen, dass zwei Ausdrücke intensionsgleich sind, falls sie in allen möglichen Welten extensionsgleich sind, d.h., wenn ihre materiale Äquivalenz logisch wahr ist. Diese Idee enthält die Vorstellung, dass die Intension eines Ausdrucks A jeder möglichen Welt die Extension von A zuordnet: Intensionen sind darstellbar als mathematische Funktionen von der Menge aller möglichen Welten in die Menge aller Teilmengen von Individuen (= Extensionen) in möglichen Welten. Damit können wir sagen, dass die A-Intension von Wasser eine Funktion ist, die jeder möglichen Welt die A-Extension (das Stereotyp) von Wasser zuordnet, und entprechend, dass die C-Intension von Wasser eine Funktion ist, die jeder möglichen Welt die C-Extension von Wasser (also H 2 O) zuordnet. Mit der Unterscheidung von A-Intensionen und C-Intensionen läßt sich die [142] aristotelische Unterscheidung von sprachlich-semantischen Definitionen und Definitionen als wissenschaftlich erklärungskräftigen Sätzen sehr gut modellieren.
    Aber die entscheidende theoretische Anreicherung dieser Überlegungen besteht darin, die entsprechenden ontologischen Verhältnisse genauer zu analysieren. Einer der wichtigsten Aspekte dieser Ontologie ist folgender: Wenn z. B. die Beschreibung »X ist ein Lebewesen« aus der Beschreibung »X ist eine Katze« folgt, ist das Faktum, dass X ein Lebewesen ist, im Faktum, dass X eine Katze ist, realisiert; Katzen sind somit Realisierer von Lebewesen. Aber diese Realisierung ist keine naturgesetzliche (sog. nomologische) Realisierung, sondern eine strukturelle Realisierung. Wichtig ist dabei, dass die Katzen-Eigenschaft
notwendigerweise
die Lebewesen-Eigenschaft realisiert, dass aber zugleich die Lebewesen-Eigenschaft
multipel
in verschiedenen Spezies-Eigenschaften realisierbar ist.
    Vor diesem Hintergrund wird deutlich, wie Aristoteles den Zusammenhang zwischen sprachlichem und theoretischem Wissen gesehen hat. Denn nicht nur ist damit klarer, inwiefern sprachliches Wissen eine Art von Weltwissen ist; die Unterscheidung von A-Intensionen und C-Intensionen vermittelt uns auch eine Interpretation des Übergangs von alltäglichen zu wissenschaftlichen identifizierenden Definitionen mit Erklärungskraft. Vor allem aber sehen wir, dass der essenzialistische immanente Formenrealismus bei Aristoteles bereits das ontologische Muster einer strukturellen Realisierung bereitstellte, das explizit ein modales Vokabular mobilisiert. Was früher begriffliches Verhältnis genannt wurde, kann heute als ein Verhältnis von Fakten beschrieben werden, das darin besteht, dass bestimmte Fakten notwendigerweise in anderen Fakten multipel strukturell realisiert sind. Und diese Verhältnisse lassen sich auf unterschiedlich tiefen Ebenen ansiedeln. Es ist vor allem dieser Gegenstandsbereich der Welt, auf dessen Erkenntnis und Erklärung sich Aristoteles konzentriert hat.

[146]
Siglen aristotelischer Schriften
An.
=
De Anima (Über die Seele)
APo.
=
Analytica Posteriora (Zweite Analytiken)
APr.
=
Analytica Priora (Erste Analytiken)
Cael.
=
De Caelo (Vom Himmel)
Cat.
=
Categoriae (Kategorien)
EE
=
Ethica Eudemica
NE
=
Ethica Nicomachea (Nikomachische Ethik)
GA
=
De Generatione Animalium (Über die Entstehung der Tiere)
GC
=
De Generatione et Corruptione (Vom Werden und Vergehen)
HA
=
Historia Animalium (Tierkunde)
Int.
=
De Interpretatione (Hermeneutik)
Metaph.
=
Metaphysica (Metaphysik)
Meteor.
=
Meteorologica (Meteorologie)
PA
=
De Partibus Animalium (Über die Teile der Tiere)
Phys.
=
Physica (Physik)
Pol.
=
Politica (Politik)
Protr.
=
Protrepticus (Einführungsschrift)
Rhet.
=
Rhetorica (Rhetorik)
Sens.
=
De Sensu (Von der Wahrnehmung)
Top.
=
Topica (Topik)
    Stellenangaben folgen diesem Muster: APo. I 2, 72a 15 = Zweite Analytiken, Buch I,Kapitel 2, Seite 72a (der maßgeblichen Becker-Ausgabe, die auf jeder Seite zwei Spalten a und b hat), Zeile 15.

[147]
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