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Aristoteles: Grundwissen Philosophie

Aristoteles: Grundwissen Philosophie

Titel: Aristoteles: Grundwissen Philosophie
Autoren: Wolfgang Detel
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Gebens und Einforderns von Gründen ein – wir gehen aus dem Reich der Natur unserer gegebenen Präferenzen in den logischen Raum der Gründe über. Dieser Schritt liegt in unserem wohlverstandenen rationalen Eigeninteresse und ist die allgemeinste Form der Bildung
(paideia)
. Die klare Artikulation dieser großen Idee ist ein bedeutendes Verdienst Platons.
    In diesem praktischen Kontext wird die Frage wichtig, welche Gründe gute Gründe sind und wie wir zwischen guten und schlechten Begründungen unterscheiden können, und zwar unabhängig von dem Gegenstandsbereich, über den wir reden. Diese spezifische Unterscheidungsfähigkeit nennt Aristoteles »Bildung« – ganz im Geiste Platons, aber präziser als sein großer Lehrer (PA 639a 1–15).
    Bemerkenswert ist dabei die klare Unterscheidung zwischen der inhaltlichen und formalen Beurteilung einer Argumentation. Die formale Beurteilung eines Arguments erfordert kein inhaltliches Wissen, sondern nur methodisches Wissen. Damit können wir prüfen, ob die Prämissen eines gegebenen Arguments,
wenn
sie wahr sind, gute Gründe für die Konklusion des Arguments abgeben, ohne dass geprüft werden [10] müsste,
ob
die Prämissen wirklich wahr sind. Hier liegt der entscheidende Grund dafür, dass die formalen Disziplinen, die dieses methodische Wissen entfalten, nicht auf einen spezifischen sachlichen Gegenstandsbereich gerichtet sind und allein nicht für einen Zugewinn an sachlichem Wissen ausreichen (Top. I 1, 100a 18–20).
    Vor Aristoteles gab es weder eine klare Unterscheidung zwischen der inhaltlichen und formalen Beurteilung einer Argumentation noch auch nur einen Ansatz zu einer Ausarbeitung formaler Disziplinen. Es ist eine der größten innovativen Leistungen des Aristoteles, eine solche Ausarbeitung zum ersten Mal – und bereits auf hohem Niveau – vorgelegt zu haben. Er hat dabei sogar schon zwischen methodischen Standards allgemeiner Gesprächsführung (Dialektik) und strengen Regeln des korrekten Schließens (Syllogistik) unterschieden.
    Die Dialektik als formale Technik der Unterredung und Diskussion lehrt, wie wir beliebige Thesen, die von unseren Diskussionspartnern präsentiert werden, auf ihre Begründbarkeit oder Widerlegbarkeit prüfen können. In seiner Schrift
Topik
hat Aristoteles die formale Technik der Unterredung in außerordentlich differenzierter Form ausgearbeitet. Wir können uns hier nur einige allgemeine Richtlinien und Beispiele vor Augen führen, um einen Eindruck von der aristotelischen Topik zu gewinnen. 2
    Der Ausdruck »Topik« ist abgeleitet vom griechischen Begriff
topos
für »Ort« oder »Raum«. Ein dialektisches Gespräch im Sinne der
Topik
ist eine Unterhaltung zwischen einer Person, die eine These aufstellt und zu begründen versucht (Proponent), und einer Person, die diese These und ihre Begründung zu widerlegen versucht (Opponent). Die
Topik
soll Richtlinien für Begründungen und Widerlegungen von Thesen entwickeln, Fehler aufzählen, die ein Proponent oder Opponent machen kann, und argumentative Schachzüge vorschlagen, die vor allem der Opponent benutzen kann, um den Proponenten möglichst lange über die Stoßrichtung der [11] Widerlegung im Unklaren zu lassen. Die Arten dieser Richtlinien, Fehler und Schachzüge heißen »Örter« (Topoi), daher der Name »Topik«, Lehre von den Örtern.
    Bevor Aristoteles die formalen »Örter« bestimmt, trifft er einige terminologische Bestimmungen über die Technik der Unterredung. Allgemeine Aufgabe der
Topik
ist es, eine Methode zur Bildung von wahrscheinlichen Schlüssen und zur widerspruchsfreien Diskussion von beliebigen vorgelegten Problemen und Thesen bereitzustellen (Top. I 1). Ein Schluss ist nach Aristoteles eine notwendige Folgerung aus vorausgesetzten Prämissen. Ein
demonstrativer Schluss
beruht auf wahren Prämissen, ein
dialektischer Schluss
auf wahrscheinlichen Prämissen (dabei ist wahrscheinlich oder plausibel all das, was alle oder doch die meisten Menschen oder zumindest alle Weisen oder doch die meisten Weisen für wahr halten). Ein
eristischer Schluss
endlich gründet auf nur scheinbar wahrscheinlichen Prämissen oder stellt eine Folgerung dar, die nur scheinbar ein guter Schluss ist.
    Wenn wir plausible dialektische Prämissen finden und angemessene dialektische Schlüsse konstruieren wollen, müssen wir die speziellen logischen »Örter« (Top. II 2, 109a) beachten. Dabei sollten wir vor allem die Homonymien und Synonymien berücksichtigen, dürfen also
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