Bücher online kostenlos Kostenlos Online Lesen
0804 - Die Frau mit den Totenaugen

0804 - Die Frau mit den Totenaugen

Titel: 0804 - Die Frau mit den Totenaugen
Autoren: Jason Dark
Vom Netzwerk:
Von dem ehemals weißen Lack war so gut wie nichts mehr zu sehen. Mehrere Familien hätten in dem Haus wohnen können, leider stand es leer. Es sollte verkauft werden, das wusste Susy, doch es hatte sich noch kein Käufer gefunden.
    Früher einmal war das Haus eine Pension gewesen. Wegen seiner außergewöhnlichen Lage mit Meerblick stets gut besucht, nun stand es seit vielen Jahren leer. Das helle Dach war ein Platz für zahlreiche Seevögel geworden.
    Die Fenster waren noch vorhanden. Zum Glück hatten keine Rowdys die Scheiben eingeschlagen.
    Susy schaute sich das Haus an.
    Sie atmete einige Male tief durch. Die würzige Luft schmeckte gut, weniger gut allerdings schmeckten ihr die feinen Sandkörper, die der Wind gegen ihr Gesicht blies. Sie ärgerte sich jetzt, zu diesem Ort gelaufen zu sein, aber was hätte sie denn gegen den Drang machen sollen, der sie immer wieder an den Strand trieb?
    Susy hatte das Haus noch nie betreten. Seltsamerweise fürchtete sie sich davor. Sie kannte ja die schrecklichen Geschichten, die man sich im Ort erzählte. Von Geistern war da die Rede gewesen, von einem Spuk, der alles tötete, was in seine Nähe kam. Von unheimlichen Schattenwesen und gefährlichen Geistern.
    Als die Kleine darüber nachdachte, kriegte sie einen trockenen Hals. Sie spürte auch das Brennen in ihrer Kehle. Der Wind kämmte ihr Haar, auf der Kopfhaut kribbelte es, und auf ihrem Rücken lag ein Schauer, der nicht mehr weichen wollte.
    Die Fenster kamen ihr düster vor. Viereckige Schatten wie hineingemalt in die Hauswand. Über ihrem Kopf hörte sie die krächzenden Schreie der Möwen. Unter ihnen befanden sich ziemlich große Tiere, die mit mächtigen Flügelschlägen durch die Luft segelten und sich das Haus als Ziel ausgesucht hatten.
    In Sanften Schwüngen landeten sie dort oben auf dem Dachfirst und schauten sie an.
    Nur Tiere – oder…?
    Manche Leute sagten, dass sich die Geister der Menschen in diesen Möwen verstecken konnten. Und war es nicht in der letzten Zeit passiert, dass Spaziergänger in Strandnähe von diesen normalerweise harmlosen Tieren angefallen worden waren?
    Das wusste Susy nicht genau, die Erwachsenen redeten nur flüsternd darüber. Es waren auch mal Polizisten im Dorf gewesen, das stimmte alles, und die Eltern hatten Susy verboten, an den Strand zu gehen und sich dort länger aufzuhalten.
    Aber sie wollte hin, sie musste hin, auch heute, obwohl dieser Abend nicht gut war.
    Eine letzte Möwe segelte auf das Haus zu und ließ sich auf dem Dach nieder. Es schrie auch kein Vogel mehr, plötzlich lag Stille über dem Strand, abgesehen vom ewigen Rauschen des Meeres, dessen Wellen immer wieder anrollten.
    Es war komisch. Auch Susy dachte über die Veränderung nach, und selbst als Kind suchte sie nach einem Vergleich. Sie kam sich vor wie in einem Bild stehend. Das Haus, der Strand und sie als Mensch. Sie war zu einem Teil des Gemäldes geworden. Es hatte sie eingeschlossen, es lebte, und auch sie lebte mit.
    Sie schaute in die Höhe.
    Eine Wolke war vom Meer her auf das Land zugewandert und hatte sich direkt über ihrem Kopf niedergelassen. Sie lag dort wie ein Stück grauer Decke, das jeden Augenblick nach unten fallen konnte.
    Die blassen Lippen des blonden Mädchens bewegten sich. In ihrer Fantasie stellte sie sich die unheimlichsten Dinge vor. Die Wolke blieb, aber sie veränderte sich in ihrem Innern. Susy sah Gesichter, wo es eigentlich keine zu sehen gab. Böse, grauenhafte Fratzen, wie sie hin und wieder in den Filmen gezeigt wurden, die im Fernsehen liefen. Verzerrt, einige grellbunt, andere wieder so bleich wie ihre tote Urgroßmutter, die erst vor zwei Monaten gestorben war. Susy hatte sie noch im Bett liegen sehen. Sie hatte ausgesehen wie ein Skelett mit der dünnen Haut über den alten Knochen.
    Das Kind zitterte. Waren es die dunklen Wolken, die beinahe geheimnisvollen Lichtverhältnisse, die ihr Angst einflößten? Sie wischte mit einer Hand über ihr Gesicht und spürte auf der Haut die kleinen Sandkörner, die überall in der Luft herumflogen.
    Es war nicht die Angst, die sie kannte, die immer dann kam, wenn sie irgendwelchen Mist gebaut hatte, in der Schule oder zu Hause. Es war eine andere Angst, denn diese hier saß tiefer, sie war auch böser, und eine derartige Angst hatte sie noch nie zuvor gespürt.
    Susy wollte eigentlich weg, aber die Furcht war stärker. Sie bannte sie auf der Stelle. Der Wind umsäuselte sie. Endlich gelang es ihr, sich aus der
Vom Netzwerk:

Weitere Kostenlose Bücher