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Eine Lady von zweifelhaftem Ruf

Eine Lady von zweifelhaftem Ruf

Titel: Eine Lady von zweifelhaftem Ruf
Autoren: Madeline Hunter
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    An dem Begräbnis einer Hure nehmen sicherlich nur wenige Leute teil, ganz gleich, wie berühmt und vornehm die Kunden dieser Hure gewesen sein mögen.
    Celia Pennifold war daher über die wenigen Trauernden bei der Beisetzung ihrer Mutter, Alessandra Northrope, nicht überrascht. Es waren hauptsächlich Frauen, herausgeputzt in teuren schwarzen Seidenensembles, die sie am Ende des Tages wieder ablegen würden. Sie alle waren Kurtisanen, wie die Verstorbene selbst, und wussten, dass Alessandra nicht von ihnen erwartet hätte, die Trauerkleidung länger als ein paar Stunden zu tragen. Schließlich gab es Kunden, die ihre Gesellschaft erwarteten.
    Es waren auch ein paar Männer anwesend. Weiter hinten drückten sich fünf Jungspunde herum. An ihrem respektlosen Grinsen und der Art, wie sie einander anstießen, konnte Celia erkennen, dass die meisten es als großen Scherz ansahen, hier zu sein. Doch einer schien tatsächlich um die schöne, faszinierende Frau im Sarg zu trauern.
    Alessandra hatte neben großzügigen Geschenken häufig auch Liebeserklärungen erhalten. Doch sie war stets freundlich genug gewesen, diesen verliebten Herren zu verschweigen, dass sie nicht mehr das Bedürfnis verspürte, ihre Tätigkeit zu verschleiern.
    Das war etwas, was man über diese spezielle Hure mit Bestimmtheit hatte sagen können, dachte Celia. Herzöge mochten ihr Gedichte geschrieben und Bauernburschen ihr Lieder gesungen haben, aber Alessandra Northrope hatte stets genau gewusst, wer und was sie wirklich war.
    Wenn sie ihrer Tochter doch nur die gleiche Selbsterkenntnis zugestanden hätte.
    »Fünf Kutschen«, flüsterte Daphne ihrer Freundin Celia zu, während der Vikar sein Gebet herunterleierte. »Ich frage mich, um wen es sich handelt.«
    Celia hatte die Ankunft der Kutschen ebenfalls bemerkt. Es handelte sich um anonyme Mietkutschen, deren Vorhänge zugezogen waren, um die Insassen vor neugierigen Blicken zu schützen. »Ich nehme an, dass es sich um ehemalige Gönner handelt. Oder derzeitige. Bekannte Männer, die nicht erkannt werden wollen.«
    Wenn es sich um ehemalige Gönner handelte, wie lange war es her, dass sie Alessandra besucht hatten? Diese Gedanken lenkten sie von dem Ritual ab, das sich vor ihr abspielte. Sie bemühte sich, nicht zu den dunklen Kutschen zu starren. Sie widerstand dem Drang, hinzugehen und einen Blick hineinzuwerfen, um herauszufinden, wer sich auf diese anonyme Weise von Alessandra verabschieden wollte.
    »In der sechsten Kutsche befinden sich jedenfalls keine Gönner«, bemerkte Daphne. »Darin sitzen Audrianna und Verity. Sie sind wegen dir da, Celia, auch wenn sie ihre Gesichter nicht zeigen.«
    Celia wusste die Geste ihrer beiden Freundinnen zu schätzen. Da beide vor Kurzem Männer von gutem Stand geheiratet hatten, mussten Audrianna und Verity aufpassen, wie sie sich öffentlich präsentierten. Es würde ihnen sicher schaden, wenn herauskäme, dass sie mit Alessandras Tochter befreundet waren.
    Daphne, eine finanziell unabhängige Witwe, musste weder auf einen Ehemann noch auf ihr gesellschaftliches Umfeld Rücksicht nehmen. Und doch zeigte auch Daphne ihr Gesicht nicht vollständig. Von ihrem breitkrempigen Hut hing ein dichter Vorhang aus schwarzer Spitze herab und verhüllte das hellblonde Haar und ihr blasses Gesicht. Daphne hatte darauf bestanden, Celia zu begleiten, obwohl diese ihr davon abgeraten hatte.
    Celia blickte erneut auf die fünf anderen Kutschen. Bei zweien entdeckte sie schmale Schlitze in den Vorhängen und bemühte sich, etwas durch die Öffnungen zu erspähen. Doch sie waren zu weit entfernt, und es war zu dunkel darin.
    Sanft berührte Daphne Celias Hand und erinnerte sie daran, ihre Gedanken auf die Gebete zu richten. Schuldbewusst wandte Celia sich im Geiste wieder dem gegenwärtigen Moment zu, doch sie konnte sich nicht auf die Worte konzentrieren. Sie ließ Erinnerungen an ihre Mutter vorbeiziehen, einige schön, andere schmerzlich, die ergreifendsten stammten aus den letzten paar Wochen. Alessandras Krankheit hatte sie nach fünf Jahren der Entfremdung wieder vereint. Jeglicher Streit von früher, jeder Groll und jede Verletzung waren während dieser letzten bittersüßen Tage vergessen gewesen. – Außer einer Sache.
    Als der Gottesdienst vorüber war und die Frauen davongingen, gestattete Celia es sich, ihre Aufmerksamkeit erneut auf die Kutschen zu lenken. Während diese vorbeirollten, blickte sie jede von ihnen direkt an, sowohl um die Tatsache
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