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Aristoteles: Grundwissen Philosophie

Aristoteles: Grundwissen Philosophie

Titel: Aristoteles: Grundwissen Philosophie
Autoren: Wolfgang Detel
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galt das sogar für alle Bewohner beider Planeten, obgleich sie alle den Ausdruck »Wasser« verwenden – und zwar anhand des Wasser-Stereotyps. Diese Leute sind, wenn sie »Wasser« denken oder aussprechen, auf Erde und Zwillingserde in exakt demselben psychischen Zustand (im engeren Sinne, d. h., soweit er nur die Existenz des Trägers voraussetzt), und doch hat das Denken oder Aussprechen von »Wasser« auf Erde und Zwillingserde eine andere Bedeutung, in dem Sinne, dass die jeweilige Referenz oder Extension eine andere ist. Dieses Szenario kann ein wenig realistischer gestaltet werden, wenn wir auf der Erde zwei Stoffe finden, die dasselbe Stereotyp und unterschiedliche Mikrostrukturen aufweisen. Solche Stoffe lassen sich in der Tat finden. In jedem Fall haben wir ein starkes Argument gegen die klassische Semantik zur Hand. Im Fall von Erde und Zwillingserde verfügen nicht einmal ganze Sprachgemeinschaften über die »richtige« Referenz, denn man kann sich, wie schon angedeutet, ohne weiteres eine Situation vorstellen, in der es weder auf der Erde noch auf der Zwillingserde Experten gibt, die die Mikrostrukturen von E-Wasser bzw. Z-Wasser entdeckt haben.
    Die Theorie der starren Referenz weckt Zweifel an der traditionellen Vorstellung von Apriorität, Aposteriorität, Notwendigkeit und Kontingenz. Erinnern wir uns: Empirismus und Transzendentalismus identifizieren apriorische und notwendige sowie aposteriorische und kontingente Sätze. Kripke und Putnam weisen demgegenüber darauf hin, dass starre Designatoren auf epistemischer Ebene in ihrem Sachbezug durch Bündel von Kennzeichnungen oder Merkmalen festgelegt werden können. Wir können mit Aristoteles in der Form bekannt gemacht werden, dass er der Mann ist, den Platon zu Beginn des
Parmenides
erwähnt, der sein einflussreichster Schüler war und der die
Metaphysik
verfasst hat. Dann sind für uns die Sätze »Aristoteles war Platons einflussreichster Schüler und schrieb die
Metaphysik
« a priori, [138] d. h. unabhängig von weiterer Erfahrung. Aber zugleich sind diese Sätze kontingent, denn Aristoteles hätte Platon auch nicht treffen und die
Metaphysik
nicht schreiben können. Es gibt folglich kontingente Wahrheiten a priori. Ebenso könnten wir die Referenz von »Wasser« durch Merkmalsbündel wie »farblos, geruchlos, trinkbar, in Flüssen, Seen und Ozeanen vorkommend« festlegen, und dann ist der Satz »Wasser ist geruchlos« a priori, obgleich auch kontingent
:
Es könnte in einer anderen möglichen Welt der Fall sein, dass H 2 O angenehm duftet.
    Betrachten wir andererseits Sätze wie »Der Morgenstern ist der Abendstern« oder »Wasser ist H 2 O«. Hier handelt es sich um Identitätssätze. Es wird behauptet, dass der Stern, den wir morgens an einer bestimmten Position sehen, identisch ist mit dem Stern, den wir abends regelmäßig an einer anderen Position sehen, bzw. dass die Substanz, die wir anhand von Merkmalen wie Flüssigkeit, Geruchlosigkeit oder Farblosigkeit »Wasser« nennen, identisch ist mit der Mikrostruktur H 2 O. Diese Sätze sind, wenn sie überhaupt wahr sind, notwendigerweise wahr; wenn z. B. Wasser tatsächlich H 2 O ist, dann auch in allen möglichen Welten; was nicht H 2 O ist, ist einfach kein Wasser. Aber es kann sich um empirische Entdeckungen handeln, die ggf. widerlegt werden. Es kann sich beispielsweise herausstellen, dass der Abendstern identisch ist mit einem morgens sichtbaren Stern, dass dieser Stern jedoch nicht der Morgenstern ist; und es wurde vielleicht schon längere Zeit vermutet, dass Wasser eine natürliche Art ist, d.h., identisch ist mit einer Mikrostruktur, hingegen wurde erst später entdeckt, dass diese Mikrostruktur H 2 O ist. Dann handelt es sich um aposteriorische, von der Erfahrung abhängige Wahrheiten. Es gibt folglich notwendige Wahrheiten a posteriori. Diesem Bild zufolge gibt es die von den Empiristen verteufelte, von den klassischen antiken Philosophen dagegen anerkannte Wesenserkenntnis, die freilich auf falliblem empirisch verankertem Wissen fußt. Dabei ist es wichtig zu sehen, dass Aposteriorität und Apriorität auf [139] epistemischer Ebene, Modalitäten dagegen auf metaphysischer Ebene angesiedelt sind.
    So hat also der neue Essenzialismus die aristotelischen Ideen von essenziellen Eigenschaften, die in der Wissenschaft gleichwohl auf fallible Weise untersucht werden, nach einer langen philosophischen Periode, die dem aristotelischen Bild kritisch gegenüberstand, auf einem
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