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Die unglaubliche Entdeckung des Mr. Penumbra (German Edition)

Die unglaubliche Entdeckung des Mr. Penumbra (German Edition)

Titel: Die unglaubliche Entdeckung des Mr. Penumbra (German Edition)
Autoren: Robin Sloan
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DIE RUND UM DIE UHR GEÖFFNETE BUCHHANDLUNG
    E in Besucher geht durch die Stadt. Er ist auf der Suche. Mit einer Liste von Büchereien und Buchhandlungen, Museen und Archiven. Er steigt in die Tiefen des San Francisco Chronicle hinab, folgt einem griesgrämigen Angestellten zu den ältesten Bänden des Archivs. Dort unten fühlt sich das Zeitungspapier brüchig an. Er fasst es mit behutsamen, aber routinierten Fingern an, er ist mit der Aufgabe vertraut. Aber der Chronicle ist noch zu jung, er findet den Namen nicht, den er sucht.
    Der Besucher klappert Chinatown ab, lernt Buchhandlung? auf Kantonesisch zu sagen: Sh u ˉ , diàn? Er stellt sich dem Dunst der Haight Street, spricht mit einem langhaarigen Mann, der auf einer Decke im Golden Gate Park Bücher verkauft. Er überquert die Bucht und geht zu Cody’s und Cal, stößt nach Süden vor zu Kepler’s und Stanford. Er fragt bei City Lights nach, aber der Mann an der Kasse, der Shig heißt, schüttelt den Kopf. »Nie von dem Burschen gehört, Mann, nie von ihm gehört.« Er verkauft dem Besucher stattdessen eine Ausgabe von Geheul .
    Es ist 1969, in San Francisco wird gebaut. Die Market Street, die große zentrale Verkehrsader der Stadt, ist ein Graben. Südlich davon hat man ganze Straßenzüge abgerissen und entsorgt. Ein Zaun ist mit Anschlägen bepflastert, die das Gelände als Yerba Buena Gardens preisen, obwohl nicht eine einzige Pflanze oder ein einziger Baum zu sehen sind. Nördlich davon geht der Besucher an einem Bauzaun entlang, hinter dem ein großflächiges, pyramidenartiges Gebäude dem Himmel zustrebt. Ein Plakat verheißt über der filigranen Darstellung eines leuchtenden Speers: Der zukünftige Standort der Transamerica Pyramid.
    Der Besucher geht durch die Stadt. Er ist enttäuscht. Er hat alle Orte aufgesucht, die Liste ist abgearbeitet. Er spaziert zur Golden Gate Bridge, weil er weiß, dass seine Eltern ihn danach fragen werden. Nachdem er die Brücke zu einem Viertel überquert hat, kehrt er wieder um. Er hat einen Blick auf die Stadt erwartet, aber Nebel verhüllt die Bucht, und sein kurzärmeliges Hemd flattert im eisigen Wind.
    Der Besucher geht zum Hotel zurück. Er geht langsam, suhlt sich in seinem Misserfolg. Morgen früh wird er sich die Zugfahrkarte nach Hause kaufen. Er geht eine Zeit lang am Wasser entlang, biegt dann in die Stadt ab. Er folgt der Grenze zwischen North Beach und Chinatown und stößt auf eine von einem italienischen Restaurant und einer chinesischen Drogerie eingekeilte Buchhandlung.
    ***
    Im Innern des Restaurants sind auf den Tischen mit den rot karierten Decken die Stühle hochgestellt. Die Türen der verdunkelten Drogerie sind mit verschlungenen Ketten fest zugezogen. Die ganze Straße schläft. Es ist fast Mitternacht. Aber die Buchhandlung ist hellwach.
    Das hört er, bevor er es sieht: Stimmengemurmel, scheppernde, beschwingte Musik. Beides schwillt an, als die Tür der Buchhandlung aufgestoßen wird und Körper hinaus auf die Straße drängeln. Junge Körper, lange wehende Haare, wallender Stoff. Der Besucher hört das Schnappen eines Feuerzeugs, sieht einen zuckenden Funken. Die Körper lassen etwas herumgehen, seufzen und stoßen lange Rauchfahnen aus, die mit dem Nebel verschmelzen. Der Besucher hält sich im Hintergrund und schaut zu. Sie lassen das Etwas wieder herumgehen, werfen es dann auf die Straße und gehen wieder hinein.
    Er geht näher heran. Die Fassade des Ladens besteht nur aus Fenstern, vom Boden bis zur Decke, quadratische Scheiben, die in ein Eisengitter eingepasst und vollkommen beschlagen sind. Es scheint, als sei eine Party im Gange. Er sieht Gesichter und Hände, dunkle, wuschelige Haare, durch das beschlagene Glas impressionistisch verwandelt. Die Musik hat er schon woanders in der Stadt gehört. Irgendein Popsong.
    Er stößt die Tür auf, und eine Woge jugendlicher Wärme schwappt über ihn hinweg. Über seinem Kopf meldet eine hell bimmelnde Glocke sein Eintreten, aber niemand bemerkt es. Er kann die Tür nicht ganz öffnen, sie stößt gegen einen Rücken, gegen eine weite Jacke, die mit einem Muster aus Flicken bedeckt ist. Der Besucher zwängt sich seitlich hinein, murmelt eine leise Entschuldigung, aber der Jackenträger hört sie nicht. Er ist in eine Unterhaltung mit einer Frau vertieft, die ein Kofferradio unter den Arm geklemmt hat, die Quelle der beschwingten Musik.
    Die Buchhandlung ist winzig: hoch und schmal. Von seiner Position in der Ecke taxiert der Besucher den
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