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Kein Kanadier ist auch keine Lösung

Kein Kanadier ist auch keine Lösung

Titel: Kein Kanadier ist auch keine Lösung
Autoren: Joy Fraser
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Sie spürte, wie ihre Zellen alterten, abstarben und durch neue ersetzt wurden. Am Ende dieses Abends würde sie ein runderneuerter Mensch sein. Faszinierend. Die philosophische Frage, ob sie dann noch immer dieselbe Person war, beschäftigte ihr unterfordertes Gehirn. Ihr Blick ruhte auf dem unspektakulären Gesicht des unspektakulären Mannes ihr gegenüber, dessen unspektakuläre Lippen sich bewegten, um Unspektakuläres von sich zu geben.
    „ Sind Sie immer so schweigsam, Frau Bach?“
    Sandra schrak hoch. Das abrupte Ende seines monotonen Redeflusses riss sie aus dem Dämmerschlaf. Warum hatte sie nur die Einladung des Kollegen aus der Budgetverwaltung angenommen? Ein Grund zur Besorgnis? Wie verzweifelt musste jemand sein, um Herrn Bodes Bericht über seinen Fußballverein freiwillig über sich ergehen zu lassen?
    „ Ich verstehe absolut nichts von Fußball.“
    Herr Bode nickte, um Verständnis bemüht. Sandra beobachtete, wie seine Ohren erröteten.
    „ Vielleicht sollten wir über etwas anderes sprechen“, schlug Herr Bode vor.
    Vielleicht sollten wir nach Hause gehen, schlug Sandras innere Stimme vor. Herr Bode rutschte nervös hin und her. Sein Hinterteil hatte Probleme, sich auf der Sitzbank des chinesischen Restaurants ein gemütliches Plätzchen zu erkuscheln. Schon nach einem flüchtigen Blick hatte sie den Mangel an Polsterung am hinteren Ende von Herrn Bode bemerkt. Nicht nur in dieser Hinsicht war das Treffen ein Fehlschlag. Sie hatte gedacht, niemand ist perfekt und sie könnte ja mal mit ihm ausgehen, nachdem er nun schon seit drei Monaten auf sie einredete.
    Mit einem Finger fuhr sie die Linien der Leinentischdecke nach und hob dann den Blick, um dem Mann in die Augen zu schauen.
    „ Bitte nicht böse sein, Herr Bode, aber ich würde gern nach Hause gehen. Ich bin müde.“
    Vielleicht würde es ihm peinlich sein, etwas so Einfallslosem zu widersprechen. Die Ohren von Herrn Bode wurden um einen ganzen Ton röter.
    „ Aber ... es ist gerade mal neun Uhr. Ich dachte, wir könnten doch ...“
    „ Ich gehe immer früh schlafen, das ist gut für die Haut“, unterbrach sie, denn sie wollte auf keinen Fall hören, was Herr Bode dachte, sie könnten doch . Sie schenkte ihm ein Lächeln.
    „ Am Ende legen Sie sich auch noch Gurkenscheiben aufs Gesicht“, witzelte er, verletzt über den plötzlichen Abbruch des hart erkämpften romantischen Abends. Sandra überlegte, ob es weise wäre, es sich mit dem Budget zu verscherzen.
    „ Nach diesem Abend würden nicht einmal zwei Pfund Quark auf meinem Gesicht etwas nützen.“
    „ Das schmerzt", sagte er mit einem schiefen Grinsen.
    Er hatte etwas Reptilienhaftes. Herr Bode war von Natur aus unwitzig. Das Grinsen musste ihm unfreiwillig entschlüpft sein. Sie konnte ein Kichern nicht unterdrücken.
    „ Tut mir wirklich leid, aber Sie müssen gewusst haben, worauf Sie sich mit mir einlassen.“ Sie war dafür bekannt, in der Kunst des subtilen Untertons zu versagen.
    „ Nun, wenn Sie mich erst besser kennen, werden Sie sicher zahmer.“
    Ihr blieb das Lachen zwischen den Röhren ihrer Kehle stecken. Sie hustete, was ihr Zeit gab, sich eine passende Antwort zu überlegen. Etwas in seinem Gesicht war beängstigend, so musste eine Schlange grinsen, kurz bevor sie sich über eine schlotternde Maus hermacht. Aber er hatte sein Opfer verkannt. Sandra schlotterte nicht. Sie beschloss, einem Streit aus dem Weg zu gehen. Sicher würde er sie sowieso nach einer Weile vergessen und das Thema war beendet. Sie verfügte bereits über eine lange Liste von Männern, die sie vergessen hatten, nachdem sie deren Erwartungen nicht erfüllt hatte, und sie hatte nie herausgefunden, woraus diese Erwartungen bestanden. Sie kippte den schaumlosen Rest ihres Kölsch ab.
    „ Ich möchte jetzt wirklich gehen“, sagte sie im Aufstehen.
    „ Aber wir haben noch nicht gezahlt“, stellte Herr Bode fest und sah sich nach der Bedienung um.
    Das Lokal schien plötzlich kellnerlos. Sandra wollte nicht mehr warten, ihr Fluchtinstinkt hatte sich aktiviert.
    „ Dann wünsche ich Ihnen noch einen schönen Abend. Vielen Dank für die Einladung, ich finde allein nach Hause.“
    Sie griff nach ihrer Handtasche und schob das Lederband über ihre Schulter.
    „ Aber wozu denn die Eile“, meinte Herr Bode in versöhnlichem Ton.
    Er erhob sich und stieß mit dem Kopf hart an die metallene Hängelampe, die schon einige Gäste skalpiert haben musste. Durchlöchertes Kupfer, das für warmes
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