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Archer Jeffrey

Archer Jeffrey

Titel: Archer Jeffrey
Autoren: Der Aufstieg
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Schule machte. Kartoffeln ganz vorn, Gemüse in die Mitte und Obst hinten, das war seine goldene Regel.
»Du mußt aufpassen, daß die Leute das Obst nich’ betatschen, bevor sie dafür bezahlt ‘aben«, mahnte er. »Kartoffeln sind schwer zu quetschen, aber Trauben sind noch schwerer zu verkaufen, wenn sie erst ‘n paarmal ‘ochge’oben und fallen gelassen worden sind.«
Mit elf nahm ich bereits das Geld von den Kunden entgegen und durfte ihnen das Wechselgeld herausgeben. Da kam ich das erste Mal dahinter, daß manche gern was in der Hand verschwinden ließen. Manchmal, nachdem ich ihnen ihr Wechselgeld herausgegeben hatte, öffnete der eine oder andere die Hand, und ich mußte feststellen, daß eine der Münzen, die er ganz sicher von mir bekommen hatte, verschwunden war. Mir blieb dann nichts anderes übrig, als ihm eine zweite zu geben.
Auf diese Weise brachte ich Großvater um einiges von unserem wöchentlichen Gewinn, bis er mir beibrachte zu sagen: »Zwei Pence zurück, Mrs. Smith«, und die Münzen so hochzuhalten, daß alle sie sehen konnten, bevor ich sie der Kundin aushändigte.
Mit zwölf hatte ich gelernt, wie man mit Pokermiene mit den Großhändlern in Covent Garden feilschte und die erstandene Ware dann anschließend in Whitechapel mit einem breiten Lächeln verkaufte. Es entging mir nicht, daß Großpapa die Großhändler regelmäßig wechselte.
»Soll keiner für selbstverständlich ‘alten, daß ich bei ihm kauf«, erklärte er mir.
Mit dreizehn war ich zu seinen Augen und Ohren geworden, denn inzwischen kannte ich den Namen jedes einzelnen Obstund Gemüsehändlers in Covent Garden. Ich kam rasch dahinter, welche Händler faules Obst unter den guten Früchten zu verstecken suchten, welche es mit dem Auswiegen nicht so genau nahmen – und, was beim Verkauf das wichtigste war, welche Kunden ihre Schulden nicht bezahlten und deswegen nicht mehr anschreiben lassen durften.
Ich erinnere mich, wie meine Brust vor Stolz anschwoll, als Mrs. Smelly, die eine Pension in der Commercial Road führte, zu mir sagte, ich sei aus dem gleichen Holz wie mein Großvater und würde vielleicht einmal sogar ebenso gut wie er. Zur Feier des Tages bestellte ich mir am Abend mein erstes Bier und rauchte meine erste Zigarette. Ich trank weder das Bier aus, noch nahm ich mehr als einen oder zwei Züge von der Zigarette.
Nie werde ich den Samstag vormittag vergessen, als Großvater mich ganz allein verkaufen ließ. Fünf Stunden lang verkniff er sich jede Bemerkung, und als er die Einnahmen am Ende des Tages zusammenrechnete, gab er mir wie an jedem Wochenende ein Sixpencestück, obwohl wir zwei Shilling und fünf Pence weniger eingenommen hatten als gewöhnlich an einem Samstag.
Ich weiß, daß Großvater es gern gesehen hätte, wenn ich noch länger in die Schule gegangen wäre, aber am letzten Tag des Schuljahres im Dezember 1913 schritt ich das letzte Mal durchs Tor der Volksschule in der Jubilee Street. Den Segen meines Vaters hatte ich jedenfalls. Er hatte immer schon gesagt, daß man in der Schule seine Zeit nur sinnlos verplempere, und ich war da ganz seiner Meinung – auch wenn Schickidickie ein Stipendium für eine Schule bekommen hatte, die St. Paul hieß und meilenweit entfernt in Hammersmith war. Und wer will schon in eine Schule in Hammersmith gehen, wenn man im East End leben kann?
Mrs. Salmon war da offenbar anderer Meinung, denn sie erzählte jedem, der in ihren Bäckerladen kam, von der »überragenden Intrigenz« ihrer Tochter.
»Rebecca kann offenbar alles viel eher als andere Kinder in ihrem Alter«, hatte sie einmal zu meinem Vater gesagt.
»Und mir fällt da noch was ein, was die Kleine wahrscheinlich auch viel früher tun wird, als ihre Mutter es erwartet«, hatte er mir da ins Ohr geflüstert und hinzugefügt: »Diese Angeberin!«
Ich hatte ungefähr die gleiche Meinung von Schickidickie wie Vater von Mrs. Salmon. Mr. Salmon dagegen war in Ordnung. Er war nämlich selber mal Straßenhändler gewesen, ehe er Miss Roach, die Bäckerstochter, heiratete.
Jeden Samstagmorgen, während ich den Karren herrichtete, ging Mr. Salmon in die Synagoge und überließ seiner Frau den Verkauf im Laden. Sie ließ keine Gelegenheit aus, uns mit schriller Stimme wissen zu lassen, daß sie aus einem besseren Stall kam als wir.
Schickidickie fiel es offenbar jedesmal schwer, sich zu entscheiden, ob sie mit ihrem alten Herrn in die Synagoge gehen oder zu Haus am Fenster sitzen und Windbeutel verschlingen sollte,
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