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Archer Jeffrey

Archer Jeffrey

Titel: Archer Jeffrey
Autoren: Der Aufstieg
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sobald ihre Mutter außer Sichtweite war.
»Immer das gleiche Problem bei Mischehen«, sagte Großvater des öfteren, aber es dauerte Jahre, bis ich verstand, daß es nichts mit den Windbeuteln zu tun hatte.
An dem Tag, als ich mit der Schule aufhörte, sagte ich zu Großpapa, er könne sich jetzt am Samstag ausschlafen, während ich zum Covent Garden gehen würde, um Obst und Gemüse zu holen, doch davon wollte er nichts wissen. Aber er ließ mich zumindest zum erstenmal allein verhandeln und einkaufen. Ich fand bald einen Händler, der sich bereit erklärte, mir ein Dutzend Äpfel für nur drei Pence zu geben, wenn ich ihm garantierte, daß ich ihm einen Monat lang jeden Tag gleich viel abnahm. Da Großpapa Charlie und ich immer jeder einen Apfel zum Frühstück aßen, kam dieses Geschäft unseren eigenen Bedürfnissen entgegen und gab mir gleichzeitig die Gelegenheit, selbst zu kosten, was wir unseren Kunden anboten.
Von diesem Augenblick an war jeder Tag ein Samstag, und gemeinsam gelang es uns, manchmal bis zu vierzehn Shilling Gewinn die Woche zu machen.
Ich bekam einen Wochenlohn von fünf Shilling – für mich ein Vermögen. Davon legte ich regelmäßig vier in eine kleine Geldschatulle, die ich unter Großvaters Bett versteckt hatte, bis ich über zwanzig Shilling – meine erste Guinee – beisammen hatte. Jemand, der eine Guinee hat, hat Sicherheit, pflegte Mr. Salmon zu sagen, wenn er, die Daumen in den Westentaschen, vor seinem Laden stand, so daß alle seine goldene Taschenuhr an der goldenen Kette bewundern konnten.
An den Abenden, wenn Großpapa sich in sein Zimmer zurückgezogen hatte und Vater in den Pub gegangen war, wurde ich es bald leid, nur in der Gesellschaft meiner Schwestern herumzusitzen. So trat ich in den Sportclub von Whitechapel ein. Tischtennis am Montag, Mittwoch und Freitag; Boxen am Dienstag, Donnerstag und Samstag. Mit Tischtennis kam ich nie besonders zurecht, aber ich wurde ein recht brauchbarer Bantamgewichtler.
Im Gegensatz zu Vater machte ich mir weder was aus Pubs noch aus Hunderennen oder Kartenspielen, aber ich schaute immer noch fast jeden Samstagnachmittag West Ham zu, und hin und wieder fuhr ich ins West End, um mir das neueste Varieteprogramm anzusehen.
Als Großpapa mich fragte, was ich mir zu meinem fünfzehnten Geburtstag wünschte, antwortete ich, ohne einen Augenblick zu überlegen: »Meinen eigenen Karren.« Dann fügte ich hinzu, daß ich schon fast genug für einen gespart hatte. Großvater lachte bloß und meinte, daß sein alter noch gut genug sein würde, wann immer ich soweit wäre, ihn mal zu übernehmen. Der Kauf eines neuen Karrens sei das, was reiche Leute eine Kapitalanlage nennen würden, warnte er mich, und er fügte hinzu, man solle nicht in was Neues investieren, vor allem nicht, solange Krieg sei.
Obwohl Mr. Salmon mir schon erklärt hatte, daß der Krieg gegen die Deutschen vor einem Jahr erklärt worden war – keiner von uns hatte je was von Erzherzog Franz Ferdinand gehört –, wurde uns der Ernst der Lage erst klar, als viele der jungen Burschen, die auf dem Markt gearbeitet hatten, allmählich »an die Front« verschwanden und durch ihre jüngeren Brüder, manchmal sogar Schwestern, ersetzt wurden.
Das einzige andere aus dieser Zeit, an das ich mich erinnere, war der Umstand, daß das Schaufenster von Metzger Schultz, der so gute Wurst machte – für uns immer ein Samstagabendschmaus, insbesondere wenn er uns mit einem zahnlosen Grinsen bedachte und eine Wurst zugab – fast jeden Morgen eingeschlagen war. Und dann war die Metzgerei eines Morgens mit Brettern vernagelt, und wir sahen Mr. Schultz nie wieder. »Internierung«, flüsterte Großpapa, was ich jedoch nicht verstand.
Mein Vater kam gewöhnlich Samstag vormittags an den Gemüsekarren, aber nur, um Großpapa um Geld anzuhauen, das er dann mit Bert Shorrocks im Black Bull versoff oder verspielte.
Jedesmal fischte Großpapa dann einen Shilling aus der Tasche, manchmal sogar eine Zweishilling-Silbermünze, was er sich eigentlich nicht leisten konnte – und das, obwohl er selbst nie trank und nichts von Glücksspielen hielt. Ich ärgerte mich jedenfalls immer darüber, während Vater das Geld einsteckte, lässig die Hand an die Mütze legte und dann in Richtung Black Bull verschwand.
So ging das fast jede Woche und wäre vielleicht immer so weitergegangen, bis eines Samstags eine hochnäsige Dame in langem schwarzen Kleid zu unserem Karren herüberkam und eine weiße Feder in Vaters
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