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Archer Jeffrey

Archer Jeffrey

Titel: Archer Jeffrey
Autoren: Der Aufstieg
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Revers steckte.
Nie zuvor hatte ich ihn so wütend werden gesehen. Es war sogar noch schlimmer als Samstag nachts, wenn er heimkam, nachdem er wie üblich sein ganzes Geld verspielt hatte und so betrunken war, daß wir uns alle unter dem Bett versteckten.
Doch obwohl er drohend die Faust schüttelte, wich die Dame keinen Schritt vor ihm zurück, sondern schimpfte ihn sogar laut einen Feigling. Er brüllte ein paar Worte zurück, die er sich gewöhnlich für den Steuereinnehmer aufsparte. Dann packte er ihre ganzen Federn, trampelte in der Gosse darauf herum und stürmte in Richtung Black Bull davon. Er war noch nicht wieder daheim, als Sal uns mittags Fisch und Fritten vorsetzte. Mir war das ganz recht, zumal ich mich aus dem Staub machte, um zu West Harn zu gehen, nachdem ich auch seine Portion vertilgt hatte. Er war noch nicht wieder da, als ich am Abend zurückkam, und als ich am nächsten Morgen aufwachte, sah ich, daß seine Seite des Betts unberührt geblieben war. Als wir mit Großvater vom Gottesdienst heimkamen, war er immer noch nicht da; so hatte ich das Doppelbett schon die zweite Nacht für mich allein.
»Wahrscheinlich ‘aben sie ihn wieder mal in die Ausnüchterungszelle gesteckt«, meinte Großpapa, als ich am Montag früh unseren Karren mitten auf der Straße vorwärts schob, um den Roßäpfeln von den Trams auszuweichen, welche jeden Tag die Metropolitan Line entlang zur Innenstadt und wieder zurück gezogen wurden.
Als wir am Haus Nummer 110 vorbeikamen, bemerkte ich, daß Mrs. Shorrocks mich durchs Fenster anstarrte. Sie hatte ein blaues Auge und sah auch sonst ziemlich lädiert aus. Es gab kaum ein Wochenende, an dem sie nicht von ihrem besoffenen Ehemann Prügel bezog.
»Du kannst deinen Pa mittags auslösen«, führte Großvater meine Gedanken fort. »Bis da’in dürft’ er wieder einigermaßen nüchtern sein.«
Ich machte ein finsteres Gesicht bei dem Gedanken, daß es uns eine halbe Krone kosten würde, seine Strafe zu bezahlen; damit war wieder mal ein ganzer Tagesgewinn im Eimer. Kurz nach zwölf ging ich zum Revier. Der diensthabende Polizeiwachtmeister sagte mir, daß zwar Bert Shorrocks noch in der Zelle sitze und nachmittags dem Richter vorgeführt würde, meinen Vater aber hätte man das ganze Wochenende nicht gesehen.
»Du kannst Gift drauf nehmen, sobald er Geld braucht, taucht er wieder auf«, prophezeite Großvater.
Aber es dauerte einen ganzen Monat, ehe mein Vater sich wieder blicken ließ, und als ich ihn sah, wollte ich meinen Augen nicht trauen – er steckte von Kopf bis Fuß in Uniform. Er hatte sich zum 2. Bataillon der Royal Fusiliers gemeldet und tat kund, daß er zwar schon in den nächsten Wochen an die Front versetzt würde, aber Weihnachten wohl wieder daheim wäre; ein Offizier hatte ihm erzählt, daß sie die verfluchten Hunnen – damit meinte er die Deutschen – bis dahin längst besiegt hätten.
Großvater schüttelte stirnrunzelnd den Kopf, aber ich war so stolz auf meinen Vater, daß ich den Rest des Tages an seiner Seite über den Markt marschierte. Sogar die schöne Dame, die an der Ecke stand und weiße Federn verteilte, nickte ihm anerkennend zu. Ich sah sie an und versprach meinem Vater, daß ich ihm helfen würde, die »Hunnen« in die Flucht zu schlagen, wenn sie bis Weihnachten noch nicht besiegt waren. An diesem Abend begleitete ich ihn sogar in den Black Bull, entschlossen, meinen Wochenlohn für alles auszugeben, was er nur wollte. Aber niemand ließ zu, daß er selbst nur einen Drink bezahlte, und so konnte ich mein ganzes Geld wieder mit nach Hause nehmen. Am nächsten Morgen kehrte mein Vater zu seinem Regiment zurück, noch ehe Großvater und ich zum Markt aufbrachen.
Vater schrieb nie, weil er gar nicht schreiben konnte, aber im East End wußte jeder: Solange einem nicht so ein brauner Umschlag unter der Tür durchgeschoben wurde, lebte der Familienangehörige, der an der Front war, noch.
Mr. Salmon las mir hin und wieder aus seiner Morgenzeitung vor, aber es stand nie irgendwas über die Royal Fusiliers drin, also wußte ich nicht, wo Vater im Einsatz war. Ich hoffte nur, daß es nicht an dem Ort namens Ypern war; denn die Zeitung schrieb, daß dort jeden Tag an die tausend Mann fielen.
Weihnachten blieb’s in diesem Jahr bei uns ziemlich ruhig, denn Vater war nun doch nicht von der Front heimgekommen, wie der Offizier es prophezeit hatte.
Sal, die schichtweise in einem Cafe an der Commercial Road arbeitete, mußte am Sechsundzwanzigsten
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