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Der Morgen der Trunkenheit

Der Morgen der Trunkenheit

Titel: Der Morgen der Trunkenheit
Autoren: Fattaneh Haj Seyed Javadi
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» N ur über meine Leiche!«
    »Sprecht nicht so, Mama, das ist Eurer nicht würdig. Das schickt sich nicht für Sie. Sie wissen doch, mein Entschluß steht fest, ich werde seine Frau.«
    »Dein Vater ist damit nicht einverstanden, Sudabeh. Er ist darüber sehr bekümmert.«
    »Aber warum? Ich verstehe das nicht, es ist wirklich seltsam. Ein Mädchen in meinem Alter, das studiert hat, kann immer noch nicht über sein Leben entscheiden? Sollte es den Mann seines Lebens nicht selber wählen?«
    »Doch, es kann. Ein modernes Mädchen, das studiert hat, kann selber wählen, muß selber wählen. Aber es darf nicht einen jungen Mann heiraten, der mir nichts, dir nichts sein Studium aufgibt, nur um dasselbe zu tun wie sein Vater. Es darf nicht die Frau des Sohnes eines Mannes werden, der trotz seines Reichtums und der Möglichkeiten, seinen Sohn auf die besten Universitäten zu schicken, zu ihm sagt: ›Komm, werd mein Mitarbeiter, der Profit liegt in Gips und Zement.‹ Es darf nicht die Frau eines Mannes werden, dessen Vater nicht einmal imstande ist, den eigenen Namen zu schreiben. Sudabeh, im Leben kommt es nicht nur auf Äußerlichkeiten an. Dein Vater schläft nachts nicht ohne ein, zwei Stunden Lektüre ein. Wie könntest du mit solch einer Familie leben? Mit einem Jungen, dessen Mutter nichts anderes kann als über diese und jene herziehen. Deren größtes Vergnügen und schönster Zeitvertreib darin besteht, herumzuschnüffeln und sich in die privaten Angelegenheiten anderer einzumischen. Du kannst nicht mit denen zurechtkommen. Du bist nicht wie dieser Junge erzogen worden. Du ...«
    Sudabeh erhob sich von ihrem Platz.
    »Mama, was gehen mich sein Vater und seine Mutter an?«
    »Du irrst dich. Sie müssen dich etwas angehen. Den Jungen hat diese Mutter großgezogen. Er ist unter den Händen dieses Vaters groß geworden. Ihre Umgangsformen unterscheiden sich von unseren wie Tag und Nacht.«
    Sudabeh stützte sich mit den Händen auf die Rückenlehne eines Stuhls, sie beugte sich vor:
    »Heißt das, daß nur wir gut sind? Daß nur wir vornehmer Herkunft sind? Daß nur wir gebildet und solide sind, sie aber nicht? Sind wir denn etwas Besseres?«
    »Nein, verwechsle das nicht. Auch sie sind in ihrer Art sehr gut. Weder sind sie schlecht, noch sind wir gut. Das Problem ist aber, daß wir uns unterscheiden. Einstellungen, Lebensformen und Erziehung unserer Familien unterscheiden sich, ebenso unser Geschmack und unsere Grundsätze. Ich spreche nicht davon, was gut und was schlecht ist. Ich sage nur, daß unsere Familien wie zwei Parallelen sind, die abbrechen würden, wenn sie sich begegnen wollten.«
    »Also darf ich mich nicht verlieben? Darf ich nicht wählen? Ja, so ist es, ich habe kein Recht zu wählen. Muß ich etwa warten, bis der Sohn des Grafen Soundso oder der Enkel des Prinzen Soundso um meine Hand anhält? Muß ich ...«
    »Nein, Sudabeh, verdreh meine Worte nicht. Wir sagen ja nicht, du darfst nicht wählen, wir sagen nur, sieh genau hin. Fall nicht auf sein Aussehen und sein Äußeres herein. Wähl aus, aber mit offenen Augen. Entscheide dich nicht blindlings. Denk nicht nur an das Hier und Heute. Sei doch vernünftig. Stürz dich nicht selbst ins Unheil, denk mal nach. Sei nicht so eigensinnig. Wir wünschen uns aus ganzem Herzen, daß du heiratest. Um so besser, wenn du einen Mann heiratest, den du dir selbst ausgesucht hast und den du liebst. Aber wir möchten nicht dein Unglück erleben. Deshalb werden wir niemals in diese Heirat einwilligen.«
    Sudabeh wandte sich vom Fenster ab.
    »Hör zu, Mama, vergiß deine Worte. Vergiß die vornehme Herkunft. Ich habe gesagt, ich bin ein modernes, studiertes Mädchen. Und auch ihr habt ja Gott sei Dank die ganze Welt bereist. Ihr müßt doch wissen, daß man ein Mädchen nicht mehr mit Drohungen und Prügeln verheiraten kann. Ich bin keines dieser Mädchen aus dem Andaruni vor hundert Jahren, das man während der Trauung zwickte, damit es ›Ja‹ sagte. Diese Zeiten sind vorbei. Außerdem behauptet Papa zum Glück, ein Intellektueller zu sein.«
    Die Mutter antwortete in gequältem Ton: »Nein, Sudabeh Chanum, diese Zeiten werden niemals vorbei sein. Seit sich Töchter und Söhne in die ungeeigneten Menschen verlieben, hat es diesesProblem zwischen Eltern und Kindern gegeben, und das wird auch in Zukunft so sein. Seit Väter und Mütter die Fallgruben vor den Füßen ihrer Kinder sehen, ohne ihnen die Augen öffnen zu können, und vor Aufregung ganz außer
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