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Der Morgen der Trunkenheit

Der Morgen der Trunkenheit

Titel: Der Morgen der Trunkenheit
Autoren: Fattaneh Haj Seyed Javadi
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Amme meiner Mutter diese Nachricht absichtlich in seiner Gegenwart überbrachte. Meine Mutter, deren Augen vor Freude über den Fund einer guten Schneiderin glänzten, zeigte sich von der Nachricht meiner Tante überrascht, sie war zornig. Sie wandte sich an meinen Herrn Papa und sagte: »Pah, so ein Gerede! Sehen Sie nun, wie es ist, Agha? Selbstverständlich wünsche ich ihr ein langes Leben. Als vollendete Dame hat sie Großmut bewiesen und schickt mir ihre Schneiderin. Doch weiß ich nicht, welche Nachlässigkeit oder Dreistigkeit ich Keshwar Chanum gegenüber gezeigt haben soll, daß sie jedesmal unter irgendeinem Vorwand Bemerkungen macht, die zu neuen Verstimmungen führen. Anscheinend gefällt es ihr, mich zu quälen.«
    Gefaßt wandte sich mein Vater an meine Mutter und sagte: »Deshalb, Chanum, beweisen Sie ebenfalls Großmut und stecken Sie bitte zurück, damit es zu keiner Verstimmung kommt. Je mehr Sie auf dieser Angelegenheit beharren, desto schlimmer wird sie.«
    »Aber, Agha…«
    »Da gibt’s kein Aber. Keine Rose ist ohne Dornen. Sie sind doch mein Augapfel. Also verzeihen Sie meiner Schwester mir zuliebe.«
    Meine Mutter sagte beschämt: »Möge Gott mir nicht verzeihen, Agha. Was sagen Sie denn da? Sie sind die Krone auf meinem Haupt. Wie Sie wünschen, um Ihretwillen gehorche ich.«
    Mein Vater wandte sich an die Amme und sagte: »Außerdem, Amme, muß man nicht jede Bemerkung weitergeben.«
    Gekränkt antwortete die Amme: »Bei Gott, Agha, sie hat es mir befohlen. Und ich habe es gesagt.«
    »Von nun an sortieren Sie die Befehle. Erwähnen Sie das Gute und verschweigen Sie das Schlechte.«
    Ich merkte sofort, daß meiner Mutter das Herz in die Kniekehlen sank. Wenn die Amme ausgerechnet jetzt, da meine Mutter schwanger war, schmollte und ging, würde die Suche nach einer Amme, die vergleichbar geschickt und so erfahren wäre wie sie, die sich bei uns seit Jahren wie zu Hause fühlte, fast eine Katastrophe auslösen. Meine Mutter lenkte sofort ein: »Nun ja, natürlich bin auch ich nicht ohne Schuld. Ich habe mich umsonst aufgeregt. Schließlich ist manals Schwangere geschwächt und verliert schnell die Geduld.« Damit war der Streit beigelegt.
    Die Streitereien meiner Eltern bewegten sich in diesen Grenzen. Als ob sie einen Text rezitierten oder in dichterischem Wettstreit miteinander lägen. Ein jeder wußte, an welcher Stelle er zurückstekken mußte. Kein böses Wort kam über ihre Lippen. Sie ließen sich die Verfehlungen des andern nicht anmerken. Diese Nachsichtigkeit ging so weit, daß wir alle wußten, wenn mein Vater alle zwei Wochen am Dienstagabend ausging und nachts nicht heimkam, schlief er im Haus von Esmat Chanum, seiner zweiten Ehefrau. Doch wir wußten nicht, ob meine Mutter es ebenfalls wußte und sich nicht anmerken ließ oder ob sie es wirklich nicht wußte.
    Es war fünf Jahre zuvor geschehen. Als meine Mutter Chodjasteh zur Welt brachte, war ich zehn Jahre alt. Mein Vater äußerte keinerlei Verdruß. Er hatte sogar wie üblich meiner Mutter ein goldenes Kollier gekauft, doch sahen wir ihn oft in sich versunken im Hof oder in den Räumen des Hauses umherspazieren. Bis er eines Abends zu meiner Mutter sagte, er würde Mirza Hassan Chan besuchen gehen. Mirza Hassan Chan war ein geachteter Mann aus ehrwürdiger Familie, dem es finanziell nicht besonders gut ging. Die Amme hörten wir sagen: »Chanum Chanum-ha« – so redeten die Dienstboten meine Mutter an –, »es wird behauptet, er liebe die Poesie und Literatur und er spiele gut Laute, aber sie mögen ihn nicht, da er dem Wein und Schnaps zuspricht. Und wenn der Agha von seinem Haus zurückkehrt, riecht sein Mund jedesmal nach diesem Teufelszeug.«
    An dem bewußten Abend trinkt mein Vater anscheinend übermäßig viel Wein, seine Zunge löst sich, und er schüttet sein Herz vor Mirza Hassan Agha aus, wie sehr er sich einen Sohn wünsche und daß sich seine Frau als Töchtergebärerin erwiesen habe. Mirza Hassan Agha ist kein Unmensch und gibt ihm nachts seine verwitwete, häßliche Schwester, die dünn ist wie ein Streichholz, zur Ehe auf Zeit und erzählt ihm, sie habe von ihrem ersten Mann einen zwei- bis dreijährigen Sohn. ›Vielleicht wird sie Ihnen ebenfalls einen Sohn gebären. Seien Sie nur ihr Vormund und halten Sie ihre Hand schützend über sie, das genügt.‹ Morgens, als mein Vater erwacht, packt ihn bittere Reue, doch da ist das Kind schon in den Brunnen gefallen, und er kann sein Versprechen nicht mehr
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