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Der Morgen der Trunkenheit

Der Morgen der Trunkenheit

Titel: Der Morgen der Trunkenheit
Autoren: Fattaneh Haj Seyed Javadi
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rückgängigmachen. In der besagten Nacht wird Esmat Chanum schwanger und gebiert meinem Vater neun Monate später Zwillinge, zwei Mädchen. Beide sterben bei der Geburt. Nach dieser Affäre schwor sich mein Vater, bis an sein Lebensende keinen Becher Wein mehr anzurühren. Allerdings besuchte er, wie er es Mirza Hassan Agha versprochen hatte, alle vierzehn Tage Esmat Chanum, doch schwanger wurde sie nicht mehr.
    Ich habe schon erwähnt, daß mein Vater in meine Mutter verliebt war. Für die Begriffe ihrer Zeit war sie hübsch. Üppig, rotbäckig, mit hellem Haar und großen rehbraunen Augen. Von mittlerer Statur, mit vollen, runden Schultern, die, wie ich meinen Vater sagen hörte, den dekolletierten Schultern hübscher und angesehener russischer Damen glichen. Jedesmal, wenn meine Mutter diese Bemerkung meines Vaters vor anderen Frauen aus der Familie erwähnte, mußte sie vor Vergnügen laut lachen.
    Ich schweife ab. Wie ich schon sagte, es war Frühling, und es war vereinbart, daß die Schneiderin der Tante am Nachmittag des kommenden Tages zu uns ins Haus kommen sollte. In drei Wochen war der Geburtstag des Imam Reza (Friede sei mit ihm), und es war vereinbart, daß die Frau Prinzessin, die Ehefrau des Ata-od-Doule, uns zur Brautschau besuchen kommen sollte. Um für ihren Sohn um meine Hand anzuhalten.
    Sudabeh fragte aufgeregt: »Stimmt das, Tantchen? Der, der jahrelang zu den berühmten Adligen Irans gehörte? Oh, das kann ich nicht glauben. Hat er wirklich um Ihre Hand angehalten?«
    »Glaub mir, mein Liebstes, glaube es mir. Aber ich habe ihn abgelehnt.«
    »Oh, Tantchen, welche Dumm…«
    Sudabeh biß sich auf die Zunge.
    »Was?«
    Tantchen lächelte.
    Ja, ich war am Erzählen. Fall mir nicht ins Wort. Ich vergesse sonst etwas. Er war ungefähr zehn bis fünfzehn Jahre älter als ich, und es hieß, er sei gerade aus dem Ausland zurückgekehrt. Töchter angesehener Familien verzehrten sich nach ihm. Seine erste Ehefrau war bei der Geburt gestorben. Damals starben viele Frauen auf diese Weise… Es war nicht wie heute, wo es an jeder Straßenecke Ärzte und Medikamente gibt. Jedenfalls war ich damals fünfzehn Jahre alt. Ich bekam das überhaupt nicht mit. Ich war fünfzehn undein richtiger Wildfang. Guter Laune und quicklebendig. Ich verstand nicht, was ein Ehemann bedeutete. Ich wußte nur, wenn noch ein, zwei Jahre vergingen, würde ich eine alte Jungfer sein…
    Sudabeh lachte schallend. Tantchen lachte ebenfalls.
    Ja, jede Zeit hat ihre eigenen Sitten. Damals waren die Achtzehnbis Zwanzigjährigen schon alte Jungfern.
    Meine Mutter befahl Firuz Chan, mit der Kutsche vorzufahren. Sie ging aus, um für mich Stoff zu kaufen, und nahm auch die Amme mit. Als sie zurückkam, ging sie wie üblich in die Vorratskammer, um ihren Tchador abzulegen. Und ich lief ihr und der Amme, die die Stoffe hereintrug, hinterher, um zu sehen, was meine Mutter mir gekauft hatte. Während sie den Tchador abnahm, sagte meine Mutter zur Amme: »Alle werden von Tag zu Tag älter, Amme. Wie jung der alte Schreiner an der Ecke geworden ist!« Und lachte. Sie scherzte mit der Amme.
    Die Amme antwortete: »Was reden Sie denn da. Das ist nicht der alte Mann. Der Arme hat doch keine Kraft mehr zum Gehen. Ständig liegt er neben dem Opium-Kohlebecken. Er hat nichts zu beißen, doch Opium raucht er in einem fort. Mittlerweile bleibt er zu Hause liegen und hat das Geschäft diesem Halbwüchsigen anvertraut. Hat sozusagen einen Lehrling eingestellt.«
    Meine Mutter sagte: »Ein hübscher Junge.« Das war’s. Wir alle vergaßen es. Manchmal sage ich mir, vielleicht hat gerade dieser eine Satz meiner Mutter die Flamme in mir entfacht. Vielleicht hat mich gerade diese Bemerkung neugierig gemacht und auf diesen Gedanken gebracht. Aber vielleicht war es auch Kismet.
    Die Schneiderin kam. Es war eine füllige, freundliche und gutgelaunte Frau mit strahlendem Gesicht. Gott hab sie selig. So gut sie konnte, redete sie meiner Mutter nach dem Munde und schmeichelte mir. Ich war gerade erwacht. Das Frühstückstablett vor mir präsentierte süßes Brot und Butter, die man uns aus dem Dorf brachte, Butterkäse und Marmelade. Die Amme goß meiner Mutter, meiner kleineren Schwester und mir unablässig Tee nach. Meine Schwester und ich aßen, während meine Mutter würgte. Amme und Schneiderin baten sie inständig, etwas zu essen, um zu Kräften zu kommen. Am Ende war meine Mutter müde, und wir waren satt. Man brachte ein anderes Tablett für Enis Chanum,
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