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Der Morgen der Trunkenheit

Der Morgen der Trunkenheit

Titel: Der Morgen der Trunkenheit
Autoren: Fattaneh Haj Seyed Javadi
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sich sind ...«
    Sudabeh schnitt ihrer Mutter das Wort ab, »wollen sie sie gewaltsam mit einem ungestalten Mann edler Herkunft verheiraten oder ihnen die alte Jungfer, Tochter des Grafen Soundso, ans Bein binden. Stimmt’s nicht? Nein, Mama, ich jedenfalls werde mich diesem Zwang nicht beugen. Warum wollen Sie denn nicht verstehen? Es ist mein Leben. Ich will es nach meinen eigenen Vorstellungen gestalten. Wir leben ja nicht mehr zu Ururomas Zeiten.«
    Eine Idee schoß dem jungen Mädchen durch den Kopf, und es fügte mit lachenden Augen und triumphierender Miene hinzu: »Abgesehen davon, hatten viele Mädchen auch schon zu Ururomas Zeiten ihren eigenen Willen. Sie fügten sich den Zwängen nicht. Sie bauten sich ihr Leben selbst auf. Schauen Sie sich doch Tantchen an! Ist sie etwa nicht die Frau des Mannes geworden, den sie begehrte? Oder? Ist sie nicht? ...«
    Für einen Augenblick weiteten sich die Augen der Mutter. Starren Blicks fixierte sie ihre Tochter. Das Mädchen mit den großen hellbraunen Augen, welligem Haar, griechischer Nase, wohlgeformten Lippen und olivfarbenem Teint blickte ihrer Mutter kampflustig in die Augen. Ihre Schönheit verdoppelte den Schmerz der Mutter. Ihre Tochter, ihre studierte, moderne und talentierte Tochter aus vornehmer und solider Familie hatte sich in den einzigen Sohn einer ungebildeten, neureichen Familie verliebt, die durch Zufall ein kleines Vermögen angehäuft hatte. Sudabehs Eltern trauten sich nicht einmal, Erkundungen über den Leumund dieser Familie einzuholen. Sie wußten nur zu gut, daß von Ansehen und Achtung nicht die Rede sein konnte, und zogen es vor, über die Angelegenheit zu schweigen. Die Mutter wünschte sich, dieser Junge entstammte einer, wenn nicht wohlhabenden, so doch aufgeschlossenen Familie. Einer kleinen, achtbaren Familie mit gutem Ruf. In diesem Fall hätten die Dinge anders ausgesehen. Leider war dem nicht so. Wie bedauerlich, daß ihre Worte dem unerfahrenen, hübschen Mädchen nicht in den Kopf wollten. Diesem süßen Inbegriff von Leben, diesem verwöhnten, sorglosen Ding. Ein Juwel, das einem Nichtsnutz in die Hände zu fallen drohte. Wie sehr es seinerTante ähnelte. Nicht nur im Aussehen und in der Gestalt, sondern in allen Eigenschaften. Als ob die Tante wieder jung geworden wäre.
    Die Mutter brach das Schweigen und begann zu sprechen. Ihre Stimme war kummervoll und leise. Sie war hilflos. Sanft fragte sie: »Du meinst doch unser liebes Tantchen, oder?«
    Das Mädchen ahmte sie trotzig nach: »Ja, ich meine unser liebes Tantchen.«
    »Ist sie glücklich? Hat es mit ihr ein gutes Ende genommen?«
    Das Mädchen erwiderte zornig und heftig: »Ja, natürlich ist sie glücklich. Und wäre noch viel glücklicher, wenn mein Herr Großpapa, ihr verehrter und edler Vater, ihnen das Leben nicht schwer gemacht hätte. Wenn er ihr nicht die kalte Schulter gezeigt, wenn er sie nicht verbannt hätte ...«
    Die Mutter zögerte kurz und setzte dann ein bitteres Lächeln auf.
    »Schau mal, Sudabeh. Laß uns eine Vereinbarung treffen. Dein Vater will, daß ich dir sage, du sollst dir diesen Jungen aus dem Kopf schlagen. Ihn vergessen. Ihn nicht einmal mehr erwähnen. Aber ich werde mit dir etwas anderes vereinbaren. Behauptest du nicht, deine Tante hätte sich zu Ururomas Zeiten verliebt? Behauptest du nicht, sie hätte die Konventionen gesprengt? Behauptest du nicht, sie hätte dies und jenes unternommen? Und du denkst, das ist es wert gewesen? Du bist überzeugt davon, daß sie richtig handelte, als sie ihren Kopf durchsetzte und bekam, was sie sich wünschte?«
    »Genau, das sage ich, davon bin ich überzeugt.«
    »Gut, dann laß uns vereinbaren, daß genau das geschehen soll, was dein Tantchen befürwortet. Wenn sie sagt, heirate ihn, dann tu es. Wenn sie sagt, tu es nicht, dann willige ein und tu es nicht. Bist du damit einverstanden?«
    Sudabeh zögerte kurz und dachte darüber nach. Hob einen Augenblick den Kopf und sah voller Zweifel die Mutter an. Sie verfiel in Nachdenken und sagte dann: »Unter der Bedingung, daß Sie ihr nichts einreden.«
    »Was heißt das? Ich verstehe nicht.«
    »Das heißt, daß Sie sie nicht veranlassen, gegen ihren Willen zu handeln und mir abzuraten.«
    Die Mutter lachte.
    »Nur gut, daß du deine Tante kennst. Sie ist genau wie du. Selbstwenn ich ihr etwas einreden wollte, täte sie nur, was sie will. Sie tut nur, was ihr richtig erscheint, was ihr gefällt. Aber ich verspreche es dir. Unter der Bedingung, daß du ihre
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