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Der Morgen der Trunkenheit

Der Morgen der Trunkenheit

Titel: Der Morgen der Trunkenheit
Autoren: Fattaneh Haj Seyed Javadi
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nicht.«
    Der Geruch von gehobeltem Holz stieg mir in die Nase. Welch angenehmer Duft. Der Geruch von Arbeit und Mühe. Als ob sichden Frühlingsdüften ein neuer Duft hinzugesellt hätte. Das Resultat der Bewegungen dieser Muskeln. Still sah ich ihn an. Wie hatte er durch den Gesichtsschleier hindurch erraten, daß ich jung war? Vielleicht am Tonfall meiner Stimme. Ich sagte: »Ich habe eine Nachricht für Sie.«
    Er sah mich erstaunt an. Eine junge Frau, die ihn höflich siezte und eine Nachricht für ihn hatte. Er fragte: »Für mich?«
    »Ja.«
    »Ich bin übrigens Rahim, der Schreiner.«
    Was für ein hübscher Name. Er gefiel mir. »Ich weiß.«
    »Wer sind Sie?«
    »Die Tochter von Bassir ol-Molk.«
    Vorsichtig legte er den Hobel nieder und nahm eine respektvolle Haltung an. »Guten Tag, Chanum. Verzeihen Sie, daß ich Sie nicht erkannte. Vermutlich ist es eine Nachricht für den Sohn von Enis Chanum.«
    »Jawohl, es ist zwar ein Umstand, doch richten Sie ihm aus, ihre Arbeit in unserem Haus würde eventuell etwas länger dauern.«
    »Ich stehe zu Diensten.«
    »Sie werden es doch nicht vergessen?«
    »Wenn ich noch leben sollte, nein.«
    Wäre ich doch stumm geworden, daß ich antwortete: »Gott gebe, daß Sie stets leben.«
    Einen Augenblick blieb er sprachlos stehen und sah mich an, und jenes Grinsen erschien erneut in seinen Mundwinkeln. Er sagte: »Nur, damit ich die Nachricht überbringe?«
    Eiligst sagte ich: »Auf Wiedersehen.«
    Nun war er unverschämt geworden. Ich drehte mich um und ging. Die Amme war gerade erst schlurfend vom Trinkwasserhäuschen aufgebrochen. Ich wurde wütend auf sie. Dämliche, träge Frau. Sie mühte sich, mir zu folgen. Ich wurde wütend auf mich. Hirnloses Mädchen. Unter dem Gesichtsschleier machte ich mich zornig nach: Gott gebe, daß Sie stets leben . Du Närrin, Schwachkopf, dumme Kuh. Ich wurde wütend auf ihn. Nichtsnutziger Schreinerlehrling. Kaum beachtete man diesen Abschaum, wurde er unverschämt. Liederlicher Habenichts!
    Wieder ertönte das Geräusch des Hobels, und mir sank das Herz bis in die Kniekehle. Was sollte dieser Unsinn?!
    A lles war vorbereitet. Sie backten gerade Kuchen. Ich, die ich Baqlava über alles liebte, mußte würgen. Vom Kichererbsengebäck wurde mir übel. Die Blumen konnte ich nicht leiden. Ich wollte meine neuen Kleider zerreißen. Was hatte ich bloß? Ich wußte es nicht. Ich wollte nur sterben. Entweder sterben oder aber…? Oder aber…? Ich wußte es nicht.
    Im Verlauf einer Woche war ich zweimal mit der Kutsche am Schreinergeschäft vorbeigefahren. Hobeln und Hobeln und Hobeln. Der unverschämte Kerl hatte unsere Kutsche erkannt. Seit einer Woche traute ich mich nicht, das Haus zu verlassen. Ich muß es der Amme sagen. Nein, ich sage es Firuz Chan. Ach was, laß das. Er wird ihn umbringen, und das Blut dieses Hundes wird an mir kleben. Ich sage es meinem Vater. Nein, noch schlimmer. Also dann meiner Mutter… Was sollte ich überhaupt sagen? Sollte ich sagen, daß er jedesmal die Kutsche ansah, wenn wir an der Schreinerei vorbeifuhren? Als ob das verboten wäre! Nun, warum sah ich dann hin? Ich durfte ihn überhaupt nicht beachten. Vielleicht war es auch vorher schon so gewesen. Vielleicht sahen der Metzger, der Bäcker und der Kalbskopfhändler ebenfalls hin. Aus Neugierde. Schließlich sind wir in diesem Viertel bekannte und geachtete Leute. Der Unterschied ist nur, daß ich sie nicht beachte. Laß ihn. Ist doch egal. Sollte er doch so lange gucken, bis er schwarz wurde. Das Problem lag woanders. Ich wußte nicht, weshalb ich das Verdeck der Kutsche gern zurückgeschlagen hätte, damit sein Blick wie eine warme Hand meinen Körper durch den schwarzen Tchador hindurch streicheln könnte.
    Es kam die Nachricht, daß mein Schwager beabsichtige, zur Inspektion in sein Dorf zu fahren. »Mahbube Chanum möge für zwei Nächte in das Haus ihrer Schwester zu Besuch kommen, damit sie nicht einsam ist.« Einsam? Mit all dem Gesinde? Ich ging hin. Meine Schwester pries dauernd meinen zukünftigen Freier. Diese Suppe hatte mir ihr Mann eingebrockt. Er war ein Freund des zukünftigen Bräutigams und ein Spielkamerad aus Kindertagen. Er hatte mich Ata od-Doules Sohn vorgestellt. Nozhat pries auch die Mutter des Bräutigams und ihre angesehene Familie. Sie sagte, seineMutter gehöre zu den vornehmen und ehrwürdigen Prinzessinnen.
    Ich sagte: »Aber, Nozhat Djan, man sagt, ihre Schwester, die Tante des Bräutigams…«
    »Was ist mit ihrer
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