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Der Morgen der Trunkenheit

Der Morgen der Trunkenheit

Titel: Der Morgen der Trunkenheit
Autoren: Fattaneh Haj Seyed Javadi
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Schwester?«
    »Man sagt, mit ihr stimme etwas nicht. Sie habe einen lockeren Lebenswandel.«
    Nozhat fuhr sich mit den Nägeln über das Gesicht: »Au weh, um Gottes willen! Welche Schwester?«
    »Was weiß ich? Diejenige, die Tahere heißt.«
    »Wer hat das gesagt?«
    »Tante Keshwar.«
    Nozhat winkte erbost ab: »Hast du schon mal erlebt, daß Tantchen jemanden lobt? Eben, die sind prinzlicher Abstammung, etwas Besseres. Alle reden hinter ihnen her. Alle sind neidisch auf sie. Hast du schon mal erlebt, daß jemand hinter dem Rücken der schwarzen Amme, der anderen Amme und der Dienerin redet? Gerade weil sie etwas Besseres sind, ziehen die Leute über sie her.«
    »Warum redet man dann nicht hinter unserem Rücken?«
    »Woher willst du das wissen? Vielleicht reden sie, und wir wissen nichts davon.«
    Nozhat zeigte mir, wie ich das Gebäck anbieten sollte. Wie ich die Wasserpfeife darreichen sollte. Wie ich sitzen sollte… Weshalb ermüdete mich das? Mich, die ich mich niemals vom Haus meiner Schwester losreißen konnte. Weshalb langweilte ich mich? Warum wollte ich nach Hause zurück? Weil ich es nicht mochte, daß sie soviel herumschwatzte? Als es Zeit wurde zurückzukehren, war ich nicht mehr zu halten. Mir wuchsen Flügel.
    Meine Schwester fragte: »Soll ich dir die alte Dienerin zur Begleitung mitschicken?«
    »Nein, ich werde mit der Kutsche fahren. Da bin ich doch nicht allein!«
    Da der Fuhrmann meiner Schwester ein alter, ausgemergelter Mann war, bereitete es keine Schwierigkeiten, allein zurückzukehren. Er klappte das Kutschenverdeck zu. Ich stieg ein. Ich wünschte mir, die Kutschpferde trügen Flügel. Als wir am Eingang der Gasse ankamen, rief ich: »Mashhadi, hier steige ich aus.«
    »Kleine Dame, es sind noch ein paar Gassen bis dahin.«
    »Das macht nichts. Ich steige hier aus, ich will noch etwas einkaufen.«
    »Dann sagen Sie Chanum Chanumha, daß ich Sie bis an die Haustür…«
    »Schon gut. Hab keine Angst. Fahr los.«
    Ich wußte selbst nicht, was ich zu tun hatte. Was ich einkaufen sollte. Weshalb kaufe ich denn nichts ein? Weshalb zittere ich denn so? Ich wollte einen Abstecher zum Schreinerladen machen. Vielleicht aus Neugierde. Weshalb sagte ich denn dauernd zu mir, Gott, laß ihn sterben. Wer sollte denn sterben? Ach, jetzt verstand ich. Ich betete, Gott möge meinen Freier sterben lassen!
    Es war eine Stunde vor Mittag, und der kleine Bazar war sehr belebt. Er war damit beschäftigt, die Hölzer umzuräumen. Es schien, als seien alle Leute stehengeblieben und starrten mich an. Sie wiesen einander doch nicht etwa mit Fingern auf mich hin? Nein, ich phantasierte.
    Möge ich stumm werden, daß ich sagte: »Frohes Schaffen!« Er drehte sich um und blieb wie angewurzelt stehen. Hatte er mich an meiner Stimme erkannt? Oder an meinem schwarzen Tchador aus Taft mit dem kostbaren, handgenähten Gesichtsschleier? Ich war verwirrt. Stotternd fragte ich laut, so daß es sogar die möglicherweise mißtrauischen Passanten hören konnten: »Stellen Sie auch Rahmen aus Holz her?«
    Immer noch stand er starr und stumm. Er hielt ein Brett in der Hand, das länger war als seine hochaufgeschossene Gestalt. Seine Haare waren ihm in die Stirn gefallen. Wieder breitete sich jenes Grinsen um seine Mundwinkel aus.
    »Kommt darauf an, was für einen Rahmen.«
    »Einen Bilderrahmen.«
    »Welche Größe?«
    »Ein kleiner Bilderrahmen. Fertigen Sie so etwas an?«
    »Für Sie selbstverständlich.«
    Der Holzgeruch füllte meine Nase. Der Duft von Holz. Plötzlich rannte ich los. Nach Hause. Mein Herz klopfte, und ich beschimpfte mich. Mädchen, bist du verrückt geworden? Was tust du denn da? Was soll dieses Laufen? Warum bringst du Schande über dich? Möge dich Gott umbringen. Was hatte ich nur angestellt. Von jetzt an komme ich nicht mehr dort vorbei, weder zu Fuß noch mitder Kutsche. Ich gehe auf der linken Seite. Ich mache einen Umweg… Aber ich kam doch wieder dran vorbei. Jedesmal, wenn die Kutsche vorbeifuhr, stand er da und verfolgte sie mit Blicken. Dreister Kerl. Schamlose Person…
    Langsam näherte sich der Tag der Brautwerbung. Man hatte das Fünftüren-Zimmer vorbereitet. Überall Blumen, Gebinde und Gebäck. Biruni und Andaruni waren gefegt und mit Wasser besprengt worden. Meine Mutter hatte sich richtig in Schale geworfen. Zobelfellschuhe, von Kopf bis Fuß mit Gold und Juwelen behängt, parfümiert und präpariert. Welch geschäftiges Treiben. Alle lachten fröhlich, wenn sie mir begegneten.
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