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Der Morgen der Trunkenheit

Der Morgen der Trunkenheit

Titel: Der Morgen der Trunkenheit
Autoren: Fattaneh Haj Seyed Javadi
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Grünpflanzen. Das Biruni und das Andaruni standen voller Blumentöpfe. Der Hof meines Elternhauses, nein, was spreche ich da von Hof, ein Paradies war es. Mittags stieg der Duft von Speisen aus der Küche am Ende des Hofes hinter den Bäumen auf und mischte sich mit dem Blütenduft. Das Wasser des Beckens war sauber und rein. Schließlich lief an unserem Haus ein Qanat vorbei, und darüber hinaus besaßen wir eine separate Zisterne mit Zapfstelle. Genau dort am Ende des Hofes, nicht weit von der Küche entfernt. Unsere Amme lief nicht am Becken vorbei, denn sie fürchtete, Wasser könnte auf ihren Rock spritzen und ihn verunreinigen. Firuz Chan, der Droschkenkutscher meines Vaters, der aus dem Süden kam und Wasser liebte, fragte jedesmal, wenn er irgendwelcher Arbeit wegen in den Hof des Andaruni kam: »Frau Amme, was ist unreiner, das Qanatwasser oder Kinderpipi?«
    »Pferdemist, Vermaledeiter!«
    Firuz Chan brach stets in schallendes Gelächter aus. Mittlerweile denke ich mir, das war vielleicht auch eine Art Flirt.
    In unserem Haus, dem Andaruni und dem Biruni , gab es so viele Dienerinnen und Diener, Gärtner und Gesinde, daß ich mich nicht mehr an alle erinnern kann. Es verging kein Tag, an dem nicht sieben oder acht Gäste am Tisch meines Vaters saßen. Der Titel meines Vaters lautete Bassir ol-Molk, und ihm gehörten drei oder vier Dörfer und Weiler. Er war ein gebildeter und studierter Mann. Hatte ein, zwei Jahre in Rußland studiert. Ein Dichter war er, ein Intellektueller. Ein Liebhaber der Oper, die er in Rußland besucht hatte. Ein Gentleman. Ein liebevoller Vater, der mit seinen Kindern sehr gut umging. Nicht daß du denkst, er wäre wie mein Brüderchen gewesen, das mit seinen Kindern über Politik, Wissenschaft und Kunst diskutiert. Für seine Epoche aber war er sozusagen sehr auf der Höhe der Zeit, und wir respektierten ihn. Meine Mutter, Sudabeh Djan, war wirklich reizend. Genau wie ihr Name Nazanin.Mein Vater liebte sie sehr. Natürlich ebenfalls nach den Gepflogenheiten der Zeit. Sie war fünfzehn Jahre jünger als mein Vater, die Tochter eines namhaften und geachteten Kaufmanns, und hatte meinem Vater drei Töchter geschenkt, von denen die zweite ich war. Sie nannte ihn ›Agha‹ und vergötterte ihn über die Maßen. Meine älteste Schwester hatte geheiratet und einen Sohn, Mahmud. Meine Tante hatte ein Auge auf meine jüngere Schwester geworfen. Sie wollte sie mit ihrem Sohn verheiraten. Meine Schwester war fünf, sechs Jahre jünger als ich, aber als Ältere war zunächst ich an der Reihe.
    Meine Mutter wünschte sich einen Sohn. Damals war sie nicht älter als zwei- oder dreiunddreißig Jahre, und seit ein, zwei Wochen wurde ihr vom Essensgeruch übel. Ja, meine Mutter war wieder schwanger und hatte Heißhunger. Mein Vater sagte stets: »Nazanin, streng dich nicht so an«, oder »Nazanin, iß nahrhafte Speisen«, »Nazanin, tu dies nicht, tu das nicht«. Und mitten in diesem Wirrwarr hieß es, daß Freier um meine Hand anhalten wollten. Wir hatten einen Hauslehrer, der uns unterrichtete, und Chanum Badji, seine Ehefrau, war unsere Hausschneiderin. Die arme Frau bekam plötzlich Bauchschmerzen und verstarb über Nacht. Meine Mutter mit ihren Essensgelüsten gab keine Ruhe, Mahbube habe nichts anzuziehen. Meine Amme wiederholte ständig: »Chanum Djan, Mahbube hat eine Truhe voll Kleider. Warum tun Sie sich das an?« Meine Mutter klagte: »Ach, Amme, streu mir nicht Salz in die Wunde. Jedes davon hat sie schon hunderte Male angezogen.«
    Schließlich hatte meine Amme einen Einfall. Sie zog sich ihren Tchador über und lief eiligst zum Haus meiner Tante. Diese hatte eine gute und geschickte Schneiderin, die sie in all den Jahren selbstverständlich vor meiner Mutter nie auch nur namentlich erwähnt hatte. Schließlich hat es unter Frauen schon immer solche Eifersüchteleien gegeben. Ich weiß nicht, mit welchen Engelszungen meine Amme auf sie einredete und was sie ihr sagte, daß die Tante, meiner Amme zufolge, mit gerunzelter Stirn antwortete: »Selbst wenn ich weiß, daß Nazanin Chanum es von Anfang auf diese Schneiderin abgesehen hatte und daß dieses Gerede nur ein Vorwand ist, so werde ich sie doch um meiner Nichte willen morgen nachmittag in euer Haus schicken. Doch richte Nazanin Chanum von mir aus: ›Verehrteste, wir enthalten Ihnen nichts von dem vor,was uns zur Verfügung steht, aber behandeln Sie uns dafür auch nicht so gleichgültig.‹«
    Mein Vater war im Andaruni , als die
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