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Anti Freud - die Psychoanalyse wird entzaubert

Anti Freud - die Psychoanalyse wird entzaubert

Titel: Anti Freud - die Psychoanalyse wird entzaubert
Autoren: Knaus Verlag: Verlagsgruppe Random House GmbH
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bestehenden Klischees in beachtlicher Menge, in großem Stil und über lange Zeit.
    Wie sehen diese Ansichtskarten von Freud nun also aus? Ich habe für unseren Bauchladen exemplarisch zehn von ihnen ausgewählt, aber ich könnte die Liste auch verlängern.
     
    Ansichtskarte Nummer 1
    Freud entdeckte mithilfe einer äußerst gewagten und mutigen Selbstanalyse ganz allein das Unbewusste.
     
    Ansichtskarte Nummer 2
    Der Lapsus, die Fehlleistung, der Witz, das Vergessen von Eigennamen und das Vergreifen zeugen von einer Psychopathologie, über die man Zugang zum Unbewussten findet.
     
    Ansichtskarte Nummer 3
    Den Traum kann man interpretieren: Als verkleideter Ausdruck eines verdrängten Wunsches ist er der Königsweg zum Unbewussten.
     
    Ansichtskarte Nummer 4
    Die Psychoanalyse geht von klinischen Beobachtungen aus: Sie fußt auf der Wissenschaft.

     
    Ansichtskarte Nummer 5
    Freud entdeckte eine Technik, die mittels der Kur und der Couch die Behandlung und Heilung von Psychopathologien ermöglicht.
     
    Ansichtskarte Nummer 6
    Das Bewusstmachen einer Verdrängung durch die Analyse führt zum Verschwinden des Symptoms.
     
    Ansichtskarte Nummer 7
    Der Ödipuskomplex, aufgrund dessen das Kind den Elternteil des anderen Geschlechts sexuell begehrt und den gleichgeschlechtlichen Elternteil als Rivalen begreift, welchen es symbolisch zu töten gilt, ist universell.
     
    Ansichtskarte Nummer 8
    Leistet ein Patient Widerstand gegen die Psychoanalyse, so gilt dies als Beweis für das Vorliegen einer Neurose.
     
    Ansichtskarte Nummer 9
    Die Psychoanalyse ist eine emanzipatorische Disziplin.
     
    Ansichtskarte Nummer 10
    Freud ist der Inbegriff des Fortbestands der kritischen Vernunft, wie sie für die Aufklärung kennzeichnend ist.
     
    Aus diesen Ansichtskarten setzt sich das Wissen über Freud zusammen, das heute an Schulen und Universitäten gelehrt wird. Der Großteil der intellektuellen Eliten wiederholt einmütig diese Klischees. Die ideologische Maschinerie transportiert sie in die breitere Öffentlichkeit und vergröbert sie dabei immer weiter, bis sie schließlich zu einer Art Vulgata in den Händen eines Kindes geraten, etwa nach der Art: »Mit der Psychoanalyse als Theorie beschreibt Freud endgültig die Mechanismen der menschlichen Psyche, in der die Libido die allgemeinen Gesetze und insbesondere
den Ödipuskomplex bestimmt. Mit der Psychoanalyse als Praxis hat Freud eine Technik zur Behandlung und Heilung von Psychopathologien entwickelt.« Nun aber reproduzieren die Ansichtskarten Klischees im Sinne der zweiten Bedeutung des Wortes – nämlich Fehler, die qua Wiederholung zu Wahrheiten geworden sind, Neuauflagen der immergleichen Bänkellieder.
     
    2006 dachte ich über die Stellung Freuds innerhalb meiner Contre-histoire de la philosophie nach. Seit 2002 unterrichte ich gemeinsam mit einigen Freunden an einer von mir gegründeten alternativen Einrichtung namens Université populaire (Volksuniversität, UP) die Geschichte der vergessenen Philosophie. Bislang wird diese von der vorherrschenden Geschichtsschreibung bestimmt, welche idealistisch, spiritualistisch, dualistisch, kurz gesagt christlich ist, da viele ihrer Urteile mit der in Europa dominierenden Religion übereinstimmen. Es ist unmöglich, die 2500-jährige Geschichte der marginalisierten, randständigen Philosophie zu schreiben, ohne die Frage nach der Rolle von Freuds Lehre darin zu stellen.
    Hier unterrichte ich nicht die von anderen – übrigens hervorragend – vertretenen Ansichten. Vielmehr widme ich meine Seminare entweder vergessenen Denkern, von Antiphon aus Athen bis Robert Owen, über Karpokrates bis zu Bentivenga von Gubbio und vielen anderen. Oder ich betrachte bekannte Denker aus einer ganz neuen Perspektive, zum Beispiel die hedonistische politische Gemeinschaft im Garten des Epikur, die Diktion der von Montaigne nicht niedergeschriebenen, sondern mündlich weitergegebenen Essays oder die These einer existentiellen Weisheit in Nietzsches Konstruktion des Übermenschen. Dazu gehört natürlich auch Freud. Zunächst nahm ich mir im Vertrauen auf meine bisherige Lektüre vor, ihn als vitalistischen Philosophen zu lesen, der seine Theorie im Gefolge Schopenhauers und Nietzsches entwickelte – Denker, die ihn dermaßen beeindruckt hatten, dass er ihren Einfluss auf ihn verdächtig kategorisch abstritt. Die erneute
Lektüre der Metapsychologischen Schriften sowie von Jenseits des Lustprinzips bestätigten meinen Eindruck von
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