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Anti Freud - die Psychoanalyse wird entzaubert

Anti Freud - die Psychoanalyse wird entzaubert

Titel: Anti Freud - die Psychoanalyse wird entzaubert
Autoren: Knaus Verlag: Verlagsgruppe Random House GmbH
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Kunstgeschichte und Archäologie der Antike ein, später noch für Alte
Geschichte, um der für mich so faszinierenden Antike noch näher zu kommen. Im Philosophischen Institut wetterte ein junger, marxistisch-leninistischer Dozent über die bürgerliche Wissenschaft der Psychoanalyse. Ein Jahr lang besuchte ich seinen Unterricht. Nach den Sommerferien war er zu einem überzeugten Lacan-Anhänger konvertiert. Für die Linken, die nun mit dem lacanschen Striegel gebürstet wurden, begann ein hartes Jahr. Mit einem Löffel de Sade und einer Prise Bataille fügte er zwei weitere große Kritiker des Beichtstuhls seinem Programm hinzu. Heute ist er beim heiligen Paulus angelangt und garniert das Loblied auf seine neue Sekte mit phänomenologischer Sauce … Doch Lukrez, der seine Leser lehrt, die Götter nicht zu fürchten, hatte mich gegen die lacanschen Hampeleien immun gemacht.
    1979 belegte ich ein Seminar über Psychoanalyse. Der Raum war brechend voll. Der Dozent unterrichtete zwei Stunden pro Woche, bis er sich mit einem alten Stalinisten und Mitglied des Zentralkomitees der Kommunistischen Partei Frankreichs (KPF) einigte und abwechselnd mit diesem nur noch alle zwei Wochen – dann jedoch vier Stunden lang – Vorlesung hielt. Einer lehrte also die Grundzüge der Psychoanalyse, der andere pries das Genie Marx und stellte Proudhon ein Armutszeugnis aus! Der Kommunist vergaß die Vorlesung jedes zweite Mal, und wenn er kam, widmete er einen Teil der Zeit dem Erstellen von Kopien, einen weiteren den Rauchpausen und verschwand dann frühzeitig mit Verweis auf den Zugfahrplan.
    Die Einführung in die Psychoanalyse war gut aufgebaut: Der Dozent stellte die Grundlagen der Disziplin vor und demonstrierte, wie Freud sie im Rahmen der Krankengeschichten einsetzte. So verbrachten wir das Jahr mit Dora, dem kleinen Hans, dem Wolfsmann, dem Rattenmann und dem Präsidenten Schreber und bekamen Hysterie, Phobie, kindliche Neurose, obsessive Neurose und Paranoia vorgeführt. Freud schrieb, er habe die hinter ihren Fantasienamen versteckten Menschen behandelt und geheilt. Seine Texte waren bei angesehenen Verlagen veröffentlicht worden,
wurden in ganz Frankreich in den Philosophieseminaren behandelt, waren Bestandteil von Universitätsabschlüssen wie zum Beispiel der Licence in Philosophie und auch schon vor dem Abitur zugänglich.
     
    Damals las ich neben den genannten fünf Fallgeschichten Das Unbehagen in der Kultur, Zur Psychopathologie des Alltagslebens und Die Zukunft einer Illusion. Und dann Freuds Selbstanalyse, die monumentale Dissertation von Didier Anzieu. Bis ich selbst Philosophielehrer an einem technischen Gymnasium wurde und nach dem Philosophielehrplan unterrichtete, zu dem Freud immer noch gehörte, hatte ich alles in allem an die 2500 Seiten Freud gelesen und in meinen zwanzig Jahren als Lehrer in Abiturprüfungen mehr als einmal Interpretationen von Freud-Texten korrigiert.
    Wie auch sollte man im Lehrplan aufgeführte Themen wie »das Gewissen« behandeln, ohne Freuds Psychoanalyse und das Unbewusste anzusprechen? Das Gleiche galt für »die Vernunft«, »die Natur«, »die Religion«, »die Freiheit«, »die Geschichte« und andere bedeutungsschwere Begriffe aus dem offiziellen Unterrichtsprogramm. Wie hätte ich es rechtfertigen können, die freudsche Fallgrube, die Lehre Freuds, die Psychoanalyse im Philosophieunterricht zu umschiffen, dessen Inhalt vorgeschrieben war und für den der Staat mich bezahlte? Weder die seriöse Verlagswelt, das Bildungsministerium und sein offizieller Lehrplan für die Abiturklassen und die universitäre Lehre der Disziplin noch die Verpflichtung, Freud im Abitur zu behandeln, erlaubten einen Zweifel an der wissenschaftlichen Gültigkeit der Psychoanalyse.
    Zwanzig Jahre lang lehrte ich also im Philosophieunterricht, was ich gewissenhaft gelernt hatte. Ich erläuterte den Schülern die sexuelle Entwicklung des Kindes von der oralen über die analsadistische bis zur phallisch-ödipalen Phase; die möglichen Störungen oder Traumata, die dabei auftreten können; den unvermeidlichen Ödipuskomplex, die sexuelle Ätiologie der Neurosen,
die Topik des psychischen Apparats, das Verhältnis von Verdrängung und Sublimierung, aber auch die Bedeutung der Couch, das Bewusstmachen der Verdrängung und das Verschwinden der Symptome sowie die Heilung. Dabei verfuhr ich genau so, als erklärte ich die Begriffe natura naturans und natura naturata bei Spinoza oder Platons berühmtes
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