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Anti Freud - die Psychoanalyse wird entzaubert

Anti Freud - die Psychoanalyse wird entzaubert

Titel: Anti Freud - die Psychoanalyse wird entzaubert
Autoren: Knaus Verlag: Verlagsgruppe Random House GmbH
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ihn ursprünglich durch schlechte Bücher, deren Rolle bei der Legendenbildung und der Verbreitung von Märchen und Mythen noch zu analysieren ist. Ich denke an Pierre Dacos Schrift Les Triomphes de la psychanalyse, eine Publikation, die mit der in der Politik üblichen ideologischen Propaganda vergleichbar ist. Ich kaufte auch Psychanalyse de l’humour érotique, die sich weniger durch Psychoanalyse als durch erotischen Humor hervortat. Doch ich hatte das Wort Psychoanalyse entdeckt, und sein Schwefelgeruch zog mich an wie ein verbotener Duft.
    Dann las ich Freud selbst, das schien mir angemessener. Die Literatur seiner Schüler, die verschiedenen Debatten und Kommentare, die in den Regalen meiner Buchhändlerin viel Platz einnahmen, kamen mir wie ein Sumpf vor, der mich vom harten Kern des Denkens fernhielt. Zunächst las ich Drei Abhandlungen zur
Sexualtheorie. Sie waren meine erste Unterhaltung mit einem Mann, der aus meiner Sicht Klartext sprach: Kinder haben eine Sexualität; Masturbation ist ein notwendiger Teil der psychischen Entwicklung eines Menschen; die Ambivalenz auf dem Weg zur sexuellen Identität führt manchmal zu homosexuellen Erfahrungen. All dies erhellte mein Dasein und ließ mich auf einen Schlag den jahrelangen christlichen Gestank, den trunkenen Atem und den fauligen Mundgeruch der Priester vergessen, die jede Woche hinter dem Holzgitter des Beichtstuhls gesessen und uns sechshundert Kindern Geständnisse über das Onanieren oder kleine Schwindeleien abgerungen hatten.
    Wenn ich heute mein Exemplar von Drei Abhandlungen zur Sexualtheorie wieder aufschlage, finde ich eine am Rand blau markierte Stelle, die von meiner damals intimen Beziehung zu diesem Buch zeugt: »Zwistigkeiten zwischen den Eltern selbst, unglückliche Ehe derselben, bedingen die schwerste Prädisposition für gestörte Sexualentwicklung oder neurotische Erkrankung der Kinder.« (Bd. V, S. 130) Man kann sich kaum vorstellen, welche Auswirkungen die Gedanken eines Philosophen auf das zukünftige Leben eines jungen Lesers haben können. Freud wusch den mentalen Dreck, der sich über die Jahre bei uns angesammelt hatte, mit reinigendem Wasser ab. Sein Buch entfernte den ganzen Schmutz. Es befreite uns von dem nächtlichen Eros, der die meisten von uns zu ertränken oder zu ersticken gedroht hatte. Und Freud machte uns klar, dass das Ende einer Angst, nämlich jener vor der christlichen Verdammnis, nicht das Ende aller Ängste bedeutet  – schließlich gibt es auch psychische Strafen.
    Nietzsche, Marx und Freud waren also die drei Leuchttürme im stürmischen Meer meiner Jugend, drei Sterne in einer Nacht, die unendlich schien, drei Wege aus der Hölle. Mein ganzes Leben lang habe ich Nietzsche gelesen. Heute amüsieren mich die Anmerkungen am Rand, die so viel über meinen damaligen seelischen Zustand verraten. Ich sah ihn als misogynen Philosophen, der unfähig war, mit Frauen zu sprechen; der, geschwächt wie er
war, die Kraft verehrte; der so sanft war und doch in Kriegsmetaphorik schwelgte; der das heroische Loblied auf das poetische Leben und auf neue Möglichkeiten der Existenz sang. Heute begreife ich ihn als Meister der existentiellen Weisheit, der dachte, um seine Haut zu retten – wie übrigens jeder Philosoph, der diesen Namen verdient, mit anderen Worten, wie jeder irrationale Philosoph.
    Marx habe ich zugunsten der anarchistischen Sozialisten, insbesondere der französischen, hinter mir gelassen. Marx hat sich den internationalen Sozialismus zu eigen gemacht; wie Freud hatte er das Talent, dem ganzen Planeten sein Gesetz aufzuzwingen, und sei dies um den Preis höchst ehrenrühriger Taten. Er missachtete jede Form des Sozialismus außer der eigenen. Er bediente sich des gleichen populistischen Repertoires wie die albernsten Utopien; er hasste die Landbevölkerung und die Landwirtschaft. Er pflegte den proletarischen Elitismus der aufgeklärten Avantgarde und verabscheute das Volk, das Proudhon so liebte. Aus all diesen Gründen bevorzuge ich den libertaristischen Sozialismus. Und doch vergesse ich nicht, dass ich dank Marx das schöne Mosaik der Sozialismen entdeckt habe.
     
    Einmal überschnitten sich meine wilden und einsamen, gefräßigen und wütenden, anarchischen und instinktiven Lektüren mit jenem Lesestoff, der im Philosophieunterricht vorgeschrieben und das genaue Gegenteil davon war – nämlich verordnet, kollektiv, schulisch, fleißgetrieben und verbindlich. Am Anfang eines jeden Schuljahres gab
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