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Anne Rice - Pandora

Anne Rice - Pandora

Titel: Anne Rice - Pandora
Autoren: Pandora
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Christentum bekehrt, hat Entfremdung aufgehoben und Bitterkeit verdrängt. Und andere Kinder der Finsternis trieb es dazu, sich mit ausgebreiteten Armen dem tödlichen Licht der aufgehenden Sonne entgegenzuwer-fen, als wäre die Sonne wahrhaftig das Feuer Gottes.«
    »Ja, es war wirklich alles so, wie ich es beschrieben habe«, sagtest du und senktest den Kopf in höflicher, aber nicht übertriebener Bescheidenheit. »Und dir ist ja bekannt, dass ein paar … von uns in dieser Gluthitze umkamen und Zeitungsmacher und Wissenschaftler unsere Asche sammelten, um sie zu untersuchen.«
    Ich wunderte mich über deine ruhige Haltung. Eine Sensibilität, typisch für das zwanzigste Jahrhundert. Ein Geist, der bestimmt wird von einem unschätzbaren Reichtum an Informationen, und eine flinke Zunge, gepaart mit einem Intellekt, der sich der Schnelligkeit, Syn-these und Plausibilität verschrieben hat, und das alles vor dem Hintergrund grauenvoller Erfahrungen und vielleicht den grässlichsten Kriegen und Massakern, die die Welt je gesehen hat.
    »Es stimmt alles«, sagtest du, »und Mekare und Maharet, diese Uralten, habe ich auch getroffen, und du brauchst dich meinetwegen nicht zu beunruhigen; ich weiß, wie verletzbar unsere Wurzeln sind. Es ist sehr freundlich, dass du mit solcher Fürsorge an mich denkst.«
    Ich war im Stillen entzückt.
    »Was hast du von dieser Reliquie, dem Schweißtuch, gehalten?«, fragte ich.
    »Unsere Heilige Frau von Fatima«, murmeltest du.
    »Das Turiner Grabtuch; ein Krüppel, der sich geheilt aus den Wunderwassern von Lourdes erhebt! Wie tröstlich muss es sein, diese Dinge ganz einfach zuakzeptieren.«
    »Und du konntest das nicht?«
    Du hast den Kopf geschüttelt. »Und Lestat genauso wenig, ehrlich. Die Sterbliche war es, Dora, sie hat ihm das Schweißtuch weggeschnappt, sie hat es mit hinaus-genommen und aller Welt gezeigt. Allerdings war es ein einzigartiges, mit akribischem Geschick hergestelltes Tuch, das muss ich schon sagen, und der Bezeichnung Reliquie eher würdig als alles andere, was ich auf dem Gebiet je gesehen habe.«
    Du klangst plötzlich niedergeschlagen.
    »Es steckte eine gewaltige Absicht hinter seiner Her-stellung«, sagtest du.
    »Und der Vampir Armand, dieser grazile, jungenhafte Armand, er glaubte an dieses Tuch?«, fragte ich. »Armand warf einen Blick darauf und sah das Antlitz Christi.« Ich wollte deine Bestätigung.
    »Er glaubte fest genug, um dafür zu sterben«, sagtest du feierlich. »Genug, um seine Arme der Morgensonne entgegenzustrecken.«
    Du wandtest den Blick ab und hast die Augen geschlossen, eine unmittelbare Bitte an mich, dich nicht über Armand sprechen zu lassen, über seinen Gang in das morgendliche Sonnenfeuer.
    Ich seufzte auf, erstaunt und beinahe fasziniert, weil du dich so deutlich, mit solcher Skepsis geäußert hast und dabei doch eine so offenkundige Beziehung zu den anderen hattest.
    Mit Erschütterung in der Stimme sagtest du: »Armand«, und immer noch von mir abgewandt: »Welch eine To-tenmesse. Und weiß er nun, ob Memnoch wirklich war, ob der Fleisch gewordene Gott, der Lestat in Versuchung geführt hat, tatsächlich der Sohn des allmächtigen Gottes war? Weiß das überhaupt jemand?«
    Deine Ernsthaftigkeit, deine Leidenschaft begeisterten mich. Du warst weder abgestumpft noch zynisch. Deine Gefühle für diese Ereignisse und diese Wesen waren von einer ebensolchen Unmittelbarkeit wie die Fragen, die du aufwarfst.
    Du sagtest: »Weißt du, man hat das Schweißtuch weg-geschlossen. Es ist im Vatikan. Zwei Wochen herrschte der reine Wahnsinn in der St. Patrick’s Cathedral auf der Fifth Avenue; die Leute strömten hinein und wollten in die Augen des HERRN schauen, und dann war das Tuch fort, man hatte es in die vatikanischen Schatzkammern gebracht. Ich glaube kaum, dass irgendein Land der Welt die Macht hat, jetzt auch nur einen Blick darauf zu werfen.«
    »Und Lestat? Was ist mit ihm?«, fragte ich.
    »Wie gelähmt, stumm«, war deine Antwort. »Lestat liegt in New Orleans auf dem Boden einer Kapelle. Er rührt sich nicht. Er sagt nichts. Seine Mutter Gabrielle ist zu ihm gekommen. Du hast sie ja kennen gelernt, er hat sie zu einem Vampir gemacht.«
    »Ja, ich erinnere mich an sie.«
    »Selbst sie kann ihn zu keiner Reaktion bewegen. Was immer er auf seinem Streifzug durch Himmel und Hölle sah, die Wahrheit kennt er genauso wenig – er hat versucht, Dora das klar zu machen! Und nachdem ich die ganze Geschichte für ihn
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