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Anne Rice - Pandora

Anne Rice - Pandora

Titel: Anne Rice - Pandora
Autoren: Pandora
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mein plötzlich freigesetztes unreines Verlangen, ihr die Seele aus dem Leib zu saugen, ihr Herz zu sprengen, ihren Venen jedes winzige Partikelchen zu entreißen, das noch überleben wollte.
    Und sie wollte überleben. Verstrickt in Fantasien von Heiligen und Träumen von der nährenden Mutterbrust, kämpfte ihr junger Körper, drängte und pumpte sein Blut gegen mich: sie so weich und meine eigene Gestalt hart wie eine Statue mit ihren zu Marmor versteinerten Warzen ohne stillenden Trost. Ich ließ sie ihre Mutter sehen, die, tot und vergangen, jetzt auf sie wartete. Mir verschaffte ich durch ihre brechenden Augen einen Blick auf das Licht, durch das sie der sicheren Erlösung entge-geneilte.
    Dann vergaß ich dich. Ich wollte mir diesen Moment nicht rauben lassen. Ich trank langsamer, gewährte ihr einen letzten Seufzer, ließ ihre Lungen sich mit der kühlen Luft vom Fluss füllen, während ihre Mutter immer nä-
    her kam, bis ihr im Tode schien, als wäre sie in den Mutterleib zurückgekehrt. Ich saugte jeden Tropfen aus ihr.
    Tot hing sie an mir wie eine, die ich gerettet hatte, eine, der ich von der Brücke helfen wollte, ein geschwächtes, krankes, betrunkenes Mädchen. Ich ließ meine Hand in ihren Körper gleiten, durchbrach mühelos das Fleisch, trotz meiner zierlichen Finger, und ich schloss diese Finger um ihr Herz, zog es an meine Lippen und saugte es aus – den Kopf auf ihr Gesicht gesenkt –, saugte das Herz aus wie eine Frucht, bis auch nicht ein Tropfen Blut mehr in den Kammern und Gefäßen übrig war, und dann
    – vielleicht dir zuliebe – hob ich das Mädchen auf und ließ es in das Wasser hinunterfallen, nach dem sie sich so gesehnt hatte.
    Doch wenn nun das Flusswasser ihre Lungen füllte, würde es keinen Todeskampf geben. Kein letztes verzweifeltes Aufbegehren. Noch einmal saugte ich an ihrem Herzen, um auch noch die Farbe des Blutes herauszuziehen, und dann warf ich es ihr nach – ausge-quetschte Trauben – und dachte: Armes Kind, Beute von ungezählten Männern.
    Dann wandte ich mich zu dir, gab dir zu verstehen, dass ich deine beobachtenden Blicke wahrgenommen hatte. Ich glaube, ich versuchte dir Angst einzujagen.
    Von Wut überwältigt, ließ ich dich wissen, wie schwach du seist, dass alles Blut, das du von Lestat bekommen hattest, dich doch zu keinem Gegner für mich machen würde, wenn mir einfallen sollte, dich in Stücke zu reißen, in dir eine tödliche Glut zu entfachen und dich in Flammen aufgehen zu lassen oder dir nur eine tiefe Wunde beizubringen – einfach als Strafe dafür, dass du mir nachspioniert hattest.
    In Wahrheit habe ich jüngeren Vampiren niemals etwas Derartiges angetan. Wenn sie beim Anblick von uns Uralten vor Furcht und Schrecken erbeben, tun sie mir sogar Leid. Aber obwohl ich mich selbst gut kenne, hätte ich mich besser so schnell zurückziehen sollen, dass du mir in der Nacht unmöglich hättest folgen können.
    Etwas in deinem Auftreten verzauberte mich, die Art, wie du dich mir auf dieser Brücke nähertest, du, der junge Anglo-Inder in dem braunhäutigen Körper, der durch das Alter, das du als Mensch erreicht hast, in solch verführerischer Anmut glänzte. Ohne dich zu erniedrigen, schienst du mit deiner ganzen Haltung die Bitte auszudrücken:
    »Pandora, können wir miteinander reden?«
    Meine Gedanken schweiften ab. Vielleicht wusstest du das. Ich weiß nicht mehr, ob ich meinen Geist vor dir verschloss, aber ich weiß, dass deine telepathischen Fähigkeiten nicht besonders stark entwickelt sind. Meine Gedanken schweiften plötzlich ab, vielleicht ganz von selbst, vielleicht auch von dir angespornt. Ich dachte über all das nach, was ich dir erzählen könnte, was sich von den Geschichten Lestats so sehr unterschied, vor allem das, was er über Marius erzählt hatte. Ich wollte dich warnen, warnen vor den uralten Vampiren des Fernen Ostens, die dich töten würden, wenn du dich in ihr Revier wagtest, aus dem einfachen Grund, dass du dort anwesend wärst.
    Ich wollte mich vergewissern, ob du wusstest, was wir alle zu akzeptieren hatten: Die Quelle unseres unsterblichen vampirischen Hungers liegt in zwei Wesen, in Mekare und Maharet – beide so alt, dass ihr Anblick mehr Furcht erregend ist als schön. Und wenn sie sich selbst vernichten, werden wir alle mit ihnen sterben.

    Ich wollte dir von anderen erzählen, die uns nie als einen Stamm kennen gelernt oder unsere Geschichte erfahren haben, jene, die das schreckliche Feuer, das unsere Urmutter
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