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Anne Rice - Pandora

Anne Rice - Pandora

Titel: Anne Rice - Pandora
Autoren: Pandora
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Armen und Beinen der jungen Leute zu ergötzen, sich von ihren Bewegungen zu nähren wie ein Vampir von Blut, und um auf den kurzen, kostbaren Augenblick zu warten, wenn eine Frau mit der Zigarette in der Hand sich lachend zurückwirft und der synthetische Stoff ihrer Bluse sich über der Brust spannt, so dass sich die Brustwarzen abzeichnen.
    Ach, alter Mann! Sein Haar ist grau, und er trägt einen teuren Mantel. Er belästigt niemanden. Sein Leben beschränkt sich aufs Zuschauen. Heute Abend wird er in seine bescheiden-elegante Wohnung zurückkehren, die er schon seit dem letzten Krieg besitzt, und er wird sich Filme von der jungen, schönen Brigitte Bardot ansehen.
    Er lebt durch seine Augen. Zehn Jahre hat er keine Frau mehr angerührt.

    Ich schweife nicht ab, David, ich suche nur festen Grund. Denn ich will nicht, dass meine Geschichte aus mir hervorsprudelt wie aus einem berauschten Orakel.
    Ich sehe die Sterblichen in einem anderen Licht, mit größerer Aufmerksamkeit. Sie kommen mir so neu, so fremdartig und doch so verlockend vor, diese Sterblichen; sie sehen aus, wie die tropischen Vögel meiner Kindheit ausgesehen haben müssen: so voller vibrieren-dem, rebellischem Leben, dass ich sie greifen wollte, um es zu fühlen, um ihre Flügel in meinen Händen flattern zu lassen, ihren Flug einzufangen und daran teilzuhaben.
    Ach, dieser schreckliche Augenblick im Leben eines Kindes, wenn es versehentlich einem rot leuchtenden Vö-
    gelchen die Luft abdrückt.
    Und dabei wirken einige von diesen Sterblichen un-heimlich in ihren düsteren Gewändern: drüben in der hin-tersten Ecke der unvermeidliche Kokaindealer – und sie sind überall, sind unsere bevorzugte Beute –, der auf seine Kontaktperson wartet; sein langer Ledermantel stammt von einem italienischen Designer, sein Haar ist extravagant geschnitten, damit er auffällt, was auch gelingt, obwohl es dessen gar nicht bedarf, wenn man seine riesigen schwarzen Augen betrachtet und seinen Mund, der zwar großzügig geschnitten, doch nun hart und ver-kniffen ist. Er lässt das Feuerzeug mit den schnellen, ungeduldigen Gesten, die den Süchtigen verraten, auf dem Marmortischchen tanzen, er dreht und windet sich, er kann nicht bequem sitzen. Er weiß nicht, dass es die Be-haglichkeit in seinem Leben nie wieder geben wird. Eigentlich möchte er verschwinden, um sein brennend ersehntes Kokain zu schnupfen, doch er kann nicht fort, er muss auf seinen Verbindungsmann warten. Seine Schuhe glänzen zu sehr, und seine langen, dünnen Hän-de werden keine Gelegenheit haben zu altern.

    Ich denke, er wird heute Nacht sterben, dieser Mann.
    Ich spüre, wie das Verlangen langsam in mir wächst, ihn eigenhändig zu töten. Er hat so viel Gift an so viele Menschen ausgeteilt. Wenn ich ihm auf den Fersen bliebe, ihn mit meinen Armen umschlänge, müsste ich ihn nicht einmal mit Halluzinationen einwickeln. Ich würde ihn wissen lassen, dass der Tod gekommen ist in Gestalt einer Frau, die zu bleich ist, um ein Mensch zu sein, zu glatt geschliffen durch die Jahrhunderte, um etwas anderes zu sein als eine zum Leben erwachte Statue. Andererseits planen die Leute, auf die er hier wartet, bereits seinen Tod. Warum sollte ich also eingreifen?
    Wie nehmen die Menschen mich hier wahr? Als eine Frau mit langen, welligen braunen Haaren, die wie ein Nonnenschleier über mein Gesicht fallen, einem Teint, dessen Blässe kosmetisch hergestellt scheint, mit Augen, die selbst noch hinter den golden getönten Gläsern unna-türlich glänzen.
    Ach, wir müssen diesem Zeitalter sehr dankbar sein für seine vielen verschiedenartigen Brillen; denn wenn ich keine Augengläser trüge, bliebe mir nichts anderes übrig, als ständig mit gesenktem Kopf herumzulaufen, um die Menschen nicht zu erschrecken. In meinen Augen chan-gieren nämlich Gelb und Braun und Gold, und über die Jahrhunderte sind sie Edelsteinen immer ähnlicher geworden, so dass es aussieht, als hätte man einer blinden Frau Topase als Iris eingesetzt – oder eher noch sorgfältig geschliffene runde Scheiben aus Saphir und Topas und Aquamarin.
    Sieh mal, nun habe ich schon so viele Seiten gefüllt.
    Und doch habe ich damit bisher nur gesagt: »Ja, ich will dir erzählen, wie das Ganze für mich begann. Ja, ich will dir davon berichten, wie ich als Sterbliche im alten Rom lebte, wie ich Marius lieben lernte und wie wir uns fanden und wieder getrennt wurden.« Dieser Entschluss, was für eine Sinnesänderung spiegelt er wider!
    Wie
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