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Anklage

Anklage

Titel: Anklage
Autoren: Markus Schollmeyer
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ich, Sie haben gute Arbeit geleistet, auch wenn es nicht geklappt hat. Für die Beweislage können Sie nichts, wer kann ahnen, dass meine Kollegen den Schwanz einziehen und alles vergessen haben. Aber Sie sind den Weg bis zum Ende gegangen. Das rechne ich Ihnen hoch an.«
    Ich war ehrlich gesagt sprachlos und konnte seine Worte auch auf Anhieb nicht vollständig zuordnen. Meine Gedanken kreisten noch um den Prozess und das Urteil, nicht um das Menschliche. Aber genau das war der Punkt. Er bedankte sich für einen verlorenen Prozess. Andere Mandanten, die einen Anwalt einschalteten, bewerteten seine Güte nur nach dem Ausgang des Prozesses. Gewonnener Prozess bedeutet guter Anwalt und eben anders herum. Sich für einen verlorenen Prozess auch noch zu bedanken, käme den meisten Menschen nicht in den Sinn. Sie würden sich stattdessen über den schlechten Anwalt beklagen. So ersetzt der Anwalt nahtlos den Prozessgegner. Mein Mandant dagegen bedankte sich für einen verlorenen Prozess. Es kam ihm offensichtlich auf andere Werte mehr an - auch wenn er sicher nichts gegen einen gewonnenen Prozess einzuwenden gehabt hätte. Transparenz, Authentizität und Zusammenhalt prägte unsere Zusammenarbeit
und dafür hatte er sich bedankt, der Erfolg trat demgegenüber in den Hintergrund. Der bloße Erfolg war nicht so wichtig wie unsere ehrliche Zusammenarbeit, bei der keiner dem anderen irgendetwas vorgemacht hatte. Jeder wusste, woran er war. In meinem Anwaltstrott habe ich diese weisen Worte und ihren wertvollen Inhalt in diesem Moment nicht richtig verstanden.
    Im Gegenteil: Ich hatte ein schlechtes Gewissen. Nicht wegen mir oder einem Fehler, den ich gemacht hatte, sondern wegen den Regeln, denen der Prozess folgte. Ich war davon überzeugt, dass mein Mandant ungerecht behandelt wurde und man nichts dagegen unternehmen konnte.

36
    Der Kanzleialltag verlief ruhig. Ich ging jeden Tag in die Kanzlei und versuchte, eine gute Kanzleiorganisation auf die Beine zu stellen. Schließlich wollte ich den Kollegen in Untermiete eine ordentliche Plattform für ihre Arbeit bieten. Neueste Technik, Akquise neuer Mandate und die Organisationsarbeit prägten den Tagesablauf. Für Gerechtigkeit kämpfen konnte ich nur noch eingeschränkt, dazu waren die anderen Aufgaben in der Kanzlei zu zeitaufwändig. Das war ein schwerer Fehler, denn ich brach die alte Regel, dass man das tun sollte, was man am besten kann, um erfolgreich zu sein.

    Dass die Selbstständigkeit mit einer eigenen Kanzlei kein Zuckerschlecken sein würde, das wusste ich. Doch wie zäh sich alles gestalten konnte und an wie vielen Fronten gleichzeitig voller Einsatz verlangt wurde, darüber kann man sich im Voraus wohl nie ein Bild machen.
    Der Fall des gekündigten Busfahrers hatte mir gezeigt, dass es auch Mandanten gab, die nicht nur am Funktionieren eines Anwalts interessiert waren, sondern auch das persönliche Engagement ihres Rechtsvertreters erkannten und zu würdigen wussten. Das war es, wonach ich die ganze Zeit gesucht hatte, oder zumindest ein Teil davon. Ich wollte nicht ausschließlich als Funktionsträger gesehen werden. Und ich wollte erfolgreich um Gerechtigkeit kämpfen. Doch dass der Kampf um Gerechtigkeit in unserem System oft einem Kampf gegen Windmühlen gleicht, diese bittere Lektion musste ich während meiner Zeit als selbstständiger Anwalt lernen.
    Als »Kopf« der Kanzlei sah ich mich in der Pflicht, genug Mandate für alle Kollegen zu akquirieren. Dabei konnte und durfte ich nicht nur nach den Maßstäben meines Gerechtigkeitsideals
vorgehen, sondern musste auch Kompromisse eingehen. Aber ein verlockend hohes Honorar sollte niemals allein den Ausschlag geben. So war es ganz klar, dass ich den folgenden Fall, um dessen Übernahme ich telefonisch gebeten wurde, nicht annahm.

    Der Anrufer klang ruhig und seriös, als er sich vorstellte. Er übernahm sofort die Gesprächsführung. »Darf ich Ihnen von meinem Problem erzählen, falls Ihre kostbare Zeit dies zulässt«, formulierte er geschmeidig, um die bereits an den Tag gelegte Dominanz abzuschwächen. Ich ließ ihn gewähren, wollte ich doch auch wissen, warum er mich anrief.
    »Mir wird vorgeworfen, dass ich eine - nun nennen wir es mal - unangebrachte Bereicherung begangen haben soll. Ich soll - so wird behauptet - angeblich jemanden bei der Auftragsvergabe bestochen haben, um einen Konkurrenten aus dem Feld zu werfen. Auch soll ich mit nicht angemeldeten Billigkräften gearbeitet haben.«
    »Das
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